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INGROWITZ, 8. JUNI 1867 327
Heute war die Frau des Statthalters Poche hier, um das Kloster zu bese-
hen. –
Ingrowitz, 2. Juni 1867
Die vergangene Woche schönes, warmes Wetter. Köstliche, ruhige Tage.
Gott gebe, dass sie noch andauern, denn mir scheint es, die Ruhe vor dem
Sturm zu sein.
Die drohenden Zeichen mehren sich. H[err] Giskra – Präsident des Kon-
vents – Reichsrat genannt – in einem monarchischen Staate! In Ungarn
steigende Verwirrung – wie vorauszusehen. Nichtsdestoweniger drängt der
Kaiser zur Krönung, um Bedenkliches, mindestens Unfertiges auch noch zu
beschwören und sich dadurch selbst aller Freiheit zu begeben.
Ingrowitz, 8. Juni 1867
Gestern Brief von Gábor Serényi erhalten mit Klagen über die wachsende
Not und Judenherrschaft in dortiger Gegend, dann über unsre öffentlichen
Zustände überhaupt. Das ist allerdings ein reiches Thema. Der illegitime
Reichsrat akzeptiert ganz ohne Scham den Dualismus und leider die Polen
und Slowenen mit! Nur 2 Tiroler und Leo Thun mit unsren Freunden im
Herrenhaus bleiben fest.
Heute ist die ungarische Krönung und Beschwörung ganz ungewisser und
unklarer Zustände!
Ein ewig zu beklagendes und nicht zu verantwortendes [Handeln] bleibt
die Taubensanftmut und Energielosigkeit des Regiments meines Bruders.
Auch damals hätten sich Tatsachen schaffen lassen, über welche die Herrn
Liberalen nicht so leicht hinweggekommen wären.
Doch die konservativen Regierungen sind immer voll Rücksicht, Vorsicht
und Zartsinn, und erreichen für die Dauer nichts.
Gábor verzweifelt an der Gegenwart und vorzüglich an den Standesgenos-
sen, die allerdings viel Ritter der traurigsten Gestalt zählen, und will, dass
die wenigen Tüchtigen in der demoralisierten Gesellschaft auf eigene Faust
sich rühmlich bemerkbar machen. Wie gewöhnlich empfiehlt er eine Politik
der Verzweiflung, und ist nicht klar über Ziele und Mittel.753
753 Gabor Serényi schrieb am 2.6.1867: „Der Liberalismus wird das Kurialsystem stürzen, da-
mit aber auch die jetzige Majorität. […] Unsere Tr----l von Standesgenossen haben die Mög-
lichkeit, die Dinge in die Hand zu bekommen, von sich gewiesen. […] Ich glaube, Freund,
das, was wir erstrebt, ist mit solchem Material, als uns vorlag, nicht mehr erreichbar.“
Einrichtungen „auf aristokratischer Basis“ seien kaum mehr durchzuführen. Aber: „Der
Adelige von Herz und Kopf, der mit dem Volke und für das Volk lebt, wird sich trotz aller
Demokratisierung leichter Geltung verschaffen als das Geldprotzentum.“
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115