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Unsre und andre Regierungen – oft die Regung des bösen Gewissens – zit-
tern und beben vor allem, was auf Welehrad und die Feier des Milleniums1741
Bezug hat.
Slawen sollen sich nicht regen, nicht einmal, um zu beten und katholisch
zu sein. Da ist gleich der Panslawismus da. Den offen einherschreitenden,
weit gefährlichern Pangermanismus wollen die weisen Hüter des Staats und
der Ordnung aber nicht sehen. Zur Beruhigung ängstlicher Seelen habe ich
die Einladung an die Katholiken der ganzen Welt zur Festfeier seitens des
Festkomitees gebilligt.
Lösch, 17. April 1885
Nachmittag brachte die Post einen Brief von Louis Serényi, der mir im Auf-
trag Karl Schwarzenbergs die Frage stellt, ob ich ein Mandat ins Abgeordne-
tenhaus vom böhmischen Gr[oß]grundbesitz annehmen wolle. Eine schwere
Entscheidung, die Majorität des mährischen will mich, Spiegel und Louis
Serényi, der als Herrenhausmitglied gar nicht wählbar ist, absolut nicht
wählen, in einem hiesigen Landgemeindebezirk, woher schon Anfragen an
mich ergingen, könnte ich vielleicht durchdringen, aber einen andern natio-
nalen Kandidaten verdrängen; und dann – so sehr mich auch das Vertrauen
der Standesgenossen im Königreich ehrt – ist immer die Annahme eines
Mandats außerhalb des engeren Heimatlandes eine Art freiwilligen Exils.
Ich werde vor der Entscheidung Gott um Erleuchtung bitten und mit Spiegel
– den ich telegraphisch berief – Brandl und Šrom mich beraten.
Lösch, 20. April 1885
Vorgestern in Brünn Brandl über verschiedenes, darunter auch die Wahl
im Gr[oß]grundbesitz Böhmens gesprochen. Er riet, unbedingt dieselbe an-
zunehmen. Ebenso F[erdinand] Spiegel, der so freundlich war, auf meinen
Ruf gestern herzukommen und heute v[or] M[ittag] wieder nach Wischenau
zurückkehrte.
Heute Früh ging mein Brief an Al[ois] Serényi – der mich im Auftrag Karl
Schwarzenbergs gefragt hatte, ob ich ein Mandat des böhmischen Groß-
grundbesitzes annehmen wolle – nach Wien ab. Ich erklärte, ich würde mir
es zur Ehre rechnen und sei bereit dazu!
Nun ist der Rubikon überschritten, und ich bin abermals für 6 Jahre ge-
bunden. Überlebe ich dieselben? Dann bin ich gerade 75 Jahre alt, und dann
kann ich mich wohl mit Ehren und reinem Gewissen zur Ruhe setzen.
1741 1 000 Jahre zuvor starb der hl. Methodius.
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115