Page - 873 - in Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
Image of the Page - 873 -
Text of the Page - 873 -
WIEN, 24. NOVEMBER 1888 871
Dennoch will ich es für die gute Sache und im Vertrauen auf Gottes Bei-
stand wagen.
Der polnische Vizepräsident von Loebl2045 ist also Statthalter in Mähren.
Schade, dass es kein eingeborener Edelmann ist oder sein konnte.
Hätte man indes selbst mich aufgefordert, den Posten zu übernehmen, so
hätte auch ich nicht nur des vorgerückten Alters wegen, sondern wegen des
Schwurs auf die „Verfassung“ ablehnen müssen.
Wien, 24. November 1888
Am vorigen Sonntag [18. November]2046 Leo Thun klar gemacht, dass es so
mit seiner Leitung des Vaterland nicht weiter geht. Der arme alte Mann
ward endlich still und nachdenklich, und ich erklärte mich auf Alfred Liech-
tensteins Aufforderung bereit, sie zu übernehmen.
Mit schwerem Herzen, denn es ist eine geschlagene Armee und kein Geld
in der Kassa, aber im Vertrauen auf Gottes Hilfe und die gute Sache, die
doch nur im äußersten Falle preisgegeben werden darf. Schließlich nahm
sich L[eo] Thun Bedenkzeit wegen definitiven Rücktritts bis morgen.
Neulich kam ein dummer Brief von Georg Lobkowitz, der das Blatt sehr
überflüssig, also für uns wertlos, findet!2047 Heute dafür ein sehr ermutigen-
der des Fürsterzbischofs von Sarajewo.2048
2045 Hermann (seit 1893 Freiherr) von Loebl (1835–1907), polnischer Beamter aus Droho-
bycz, seit 1873 in der Lemberger Statthalterei tätig, 1888–1893 Statthalter von Mähren,
1897/98 Minister für Galizien im Kabinett Gautsch, seit 1898 MöHH (Rechte).
2046 Belcredi schrieb nach dem Besuch allerdings noch am selben Tag an Vogelsang, Thun sei
in „konzilianter Stimmung“ gewesen und habe selbst Vogelsangs Stellung als „unwür-
dig“ bezeichnet, doch: „So offen wir ihm die Frage des Rücktritts nahelegten, ging er auf
dieselbe nicht ein, um so bereitwilliger aber auf alle Vorschläge zu einem entsprechen-
den Arrangement.“ Thun besuchte am 20.11. Vogelsang, der berichtete: „Zu einer vollen
Verständigung gelangten wir nicht.“ Vogelsang schlug einen Übergangsredakteur vor,
der ihm unterstellt wäre, schloss aber: „Auf ein ferneres Mitwirken müßte ich verzich-
ten, wenn ich nicht gegen die Wiederkehr der jetzigen Anarchie absolut gesichert werden
könnte.“
2047 Georg Lobkowitz schrieb am 20.11.1888 über das Vaterland: „Ein Bock um den anderen
und selten nur etwas Positives, was dafür entschädigt hätte.“ Er bat um Auskunft, weil er
sich nicht zur Fortsetzung seiner Subvention entschließen könne: „Vorläufig drückt mich
das Gewissen ebenso, wenn ich nichts hergebe, wie wenn ich etwas hergebe.“
2048 Joseph Stadler (1843–1918), Erzbischof von Sarajewo, lobte, dass „viele, zumal Geistliche,
ihre gesunden Prinzipien dem Vaterland verdankten“ und regte an, offenbar in Unkennt-
nis der Debatten innerhalb des österreichischen Episkopats, die Bischöfe deutscher Diö-
zesen sollten ihren Pfarrern auftragen, das Blatt aus der Kirchenkassa zu abonnieren; er
selbst werde 100 fl. pro Jahr beitragen (21.11.1888).
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Title
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Authors
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Editor
- Jiří Malíř
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 1144
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115