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natürlichen Anstände eine Art Anstelligkeit zu verbinden, welche das ihrem Stande
anhaftende Linkische oft kaum bemerken läßt.
Der Gebirgsbewohner ist mehr in sich gekehrt, der Bauer auf dem Flachlaude
geweckter, beweglicher, der Weinbauer heißblütiger und im Ganzen von derberer Natur,
in einem Punkte aber stimmen sie alle überein, in der Art nämlich, dein Fremden zu
begegnen. Wen der Bauer nicht näher kennt, dem erschließt er sich nicht sofort, er verhält
sich vielmehr anfangs zuwartend, beobachtend, doch muß man dahinter ja nicht sogleich
berechnete Abgemessenheit oder gar Verschlagenheit vermuthen, sondern man darf zumeist
richtiger bedächtiges Wesen, natürliche Klugheit und gewiß auch oft bescheidene Zurück-
haltung, ja sogar Schüchternheit als Grund solchen Benehmens voraussetzen. Weiß unser
Landmann einmal, mit wem er es zu thun hat, und hat er Zutrauen gefaßt, so geht er
aus sich heraus, und bald liegt sein ganzes biederes, treuherziges Wesen offen da. Er wird
dann auch eine andere an ihm so oft und mit Recht gerühmte Tugend hervorkehren, die
Gastfreundlichkeit, welche gerne gibt, ohne Prunk und ohne Schein. Dieser Charakterzug
tritt vollends als Nächstenliebe auf, wenn der Mitmensch im Unglück sich befindet; da
leistet unser Landvolk wohl oft entschieden mehr, als Christenpflicht vorschreibt. Dem Armen
vor der Thüre reicht der Bauer auch in Mißjahren das erbetene Stück Brot, und Nacht-
herberge verweigert er nicht leicht dem obdachlosen Fremden.
Es gibt mancherlei Gelegenheiten, bei welchen unser Landvolk auch eine überaus
heitere Seite hervorkehrt und seinem natürlichen Witz und Humor freien Lauf läßt. Da
will man „leben", da „haut" auch unser sonst sparsame Bauer „auf". Man hat wohl
deßhalb den Niederösterreicher wiederholt leichtlebig, ja leichtsinnig genannt. Das heißt
aber die Ausnahme als Regel hinstellen; nur in Bezug auf den Weinbauer kann man
sagen, daß er, nachdem er oft mehrere Jahre hindurch infolge Mißwachses spärlich
gelebt hat, in besseren Zeiten mit dem Erworbenen weniger haushälterisch umgeht. Auch
die Nähe der Großstadt mag in mancher Hinsicht ungünstig auf die Lebensweise des
Landvolkes rückwirken.
Die Charakterzüge, welche hier zunächst an unserem Bauernstande hervorgehoben
wurden, gelten mehrfach auch vom niederösterreichischen Bürgerstande. Man trifft noch
allenthalben wahre Ehren- und Biedermänner, und die Bürgersfrau hat das würdige
matronenhafte Wesen von altersher noch in vielen Zügen bewahrt. Im Ganzen betrachtet
kann uns aber der Bürgerstand heute nicht mehr wie einst als echter Repräsentant des
niederösterreichischen Volksthnmes gelten, denn auf ihn hat der veränderte Zeitgeist, hat
namentlich das Fabrikswesen und dessen Rückwirkung auf das Kleingewerbe, auf ihn hat
in Tracht und Sitte auch großstädtisches Wesen bereits vielfach umgestaltenden Einfluß
geübt. Der Kleiderluxus findet indeß auch bei unserer bäuerlichen, besonders weiblichen
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Volume 4
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Volume
- 4
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 17.75 x 26.17 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch
Table of contents
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317