Page - 42 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Wahrnehmung der frĂĽhesten ebenso wie der spätesten BurgenÂ
bauten des 19. Jahrhunderts.103 Die Einrichtung der RitterwohÂ
nung mit historischen Gegenständen, die zeitlich oder themaÂ
tisch mit einem » ritterlichen « Umfeld in Verbindung gebracht
wurden, verband die fiktive Wohnung mit der realen Funktion
als Museum, das jedoch nicht der Systematik moderner wissenÂ
schaftlicher Sammlungen entsprach, sondern vielmehr als » stimÂ
mungsvolles « bzw. » malerisches « Arrangement die Objekte in eiÂ
nen simulierten Nutzungs und Bedeutungszusammenhang zu
bringen versuchte. Die Inszenierung von Museumsinterieurs
als vollständig eingerichtete Wohnräume, wie wir sie vor allem
aus den kulturgeschichtlichen Museen der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts kennen, lässt sich so auch bis zu den frĂĽhen BurÂ
genbauten der Romantik zurĂĽckverfolgen, deren museale PräÂ
sentation unter dem Zeichen einer Wiederherstellung der VerÂ
gangenheit von der Fiktion einer intakten Funktion bestimmt
gewesen war.104
Schon diese frühen Burgen waren aber nicht bloß als temporäre
Wohnung des Ritters konzipiert : Ăśber den Tod hinaus sollte der
Ritter in der Burg anwesend sein, weshalb sein Grab – und in einem
weiteren Schritt das Grabmal des Bauherrn und seiner Familie – zu
einem wesentlichen Bestandteil der Burg wurde. Indem sie WohÂ
nung und Grab des Ritters enthielt, war die Burg somit zugleich
Mausoleum, Museum und damit Monument des Mittelalters und
des Rittertums schlechthin – wobei sich » Ritter « und » Rittertum «
wiederum dazu eigneten, als Chiffren fĂĽr den Bauherrn und seine
Familie, fĂĽr » Volk « oder » Nation « zu fungieren. Museum, MausoÂ
leum und Monument – das sind die primären neuen, nur im KonÂ
text der Moderne möglichen Funktionen der Burg des 19. JahrhunÂ
derts, und sie sind auch fĂĽr Kreuzenstein konstitutiv.105
Die historisch bedingte Funktionslosigkeit der Burg in der
Moderne war eine wesentliche Voraussetzung fĂĽr ihre AusstatÂ
tung mit neuen Bedeutungsebenen. Um sie fĂĽr die Gegenwart zuÂ
gänglich, handlich zu machen, musste die Burg zunächst in einen
räumlichen Kontext gebracht werden, der ihrer Konsumation zuÂ
träglich war : Erst durch die Übertragung der mittelalterlichen
Burg in den Landschaftspark wurde sie als isoliertes, aus dem urÂ
sprünglichen Zusammenhang gelöstes Objekt und Bild verfügbar.
Die späteren Burgenrekonstruktionen – Kreuzenstein nicht ausÂ
genommen – sind allesamt Früchte dieses für das Verständnis der
Burg im 19. und 20. Jahrhundert grundlegenden Prozesses und
mit den Staffagebauten in den Gärten des späten 18. Jahrhunderts
enger verwandt, als mit jenen mittelalterlichen Vorgängern, auf
die sie sich bildhaft zu berufen scheinen. Die Burgen des 19. JahrÂ
hunderts sind also im Grunde gar keine Burgen mehr.
42 Mittelalterbilder
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258