Page - 46 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Franzensburg nicht auszumachen – im Lauf der Jahrzehnte lösÂ
ten vielmehr auch hier unterschiedliche Vorstellungen von MitÂ
telalter einander ab, und bis zum Tod des kaiserlichen Bauherrn
wurde an Erweiterungsplänen gearbeitet. Die Franzensburg ist
formal und inhaltlich modular konzipiert, indem mit neuen BauÂ
teilen stets auch neue inhaltliche Aspekte zum Tragen kamen.
Aus einem Gartenhaus mit der Wohnung eines anonymen RitÂ
ters wurde so am Ende ein habsburgisch lothringischer MemoriÂ
albau.114 In unserem Zusammenhang ist die Franzensburg nicht
zuletzt deshalb von größter Bedeutung, weil sie in inhaltlicher,
formaler und methodischer Hinsicht als der wichtigste Vorläufer
von Kreuzenstein gelten kann.
In weitaus größerem Umfang als etwa in Strawberry Hill oder
Kassel wurde die Franzensburg nämlich förmlich aus den disiecta
membra anderer Bauten zuammengefügt, die aus Schlössern,
Burgen und aufgelassenen Klöstern im ganzen Reich stammÂ
ten.115 Ăśber den schieren materiellen Nutzen der Verwendung
von Spolien hinaus handelte es sich dabei zum GroĂźteil um hisÂ
torisch oder kĂĽnstlerisch bedeutungsvolle Relikte, deren ProveÂ
nienz nicht vergessen, sondern vielmehr durch die Erinnerung an
den ursprĂĽnglichen Kontext tradiert wurde. Der Bau wurde daÂ
mit zum quasi religiösen » Reliquiar « : » Durch die Berührung mit
dem Original, der als traditionsmächtig magisch angesehenen
Geschichte, erhielt die Gegenwart gleichsam eine neue StrahlÂ
kraft und Legitimation. «116
Die Innenräume wurden zunächst als fiktive » RitterÂ
WohÂ
nung « gestaltet, wobei die Raumfunktionen – Waffenkammer,
Thronsaal, Speisesaal, Silberkammer, Schlafzimmer etc. – weniÂ
ger mittelalterlichen Gepflogenheiten entsprachen, als vielmehr
zeitgenössischen höfisch aristokratischen Wohnvorstellungen.
Der aus mittelalterlichen und renaissancezeitlichen FragmenÂ
ten zusammengesetzte Empfangssaal war Kaiser Maximilian I.
gewidmet und enthielt neben einem gemalten Fries mit TurÂ
nierdarstellungen mehrere Porträtreliefs des Kaisers und seiÂ
ner Gemahlinnen in den Supraporten.117 〚 14 〛 Doch auch des leÂ
gendären Templerordens wurde an zentraler Stelle gedacht : Der
groĂźe Turm besitzt im ErdgeschoĂź ein Verlies fĂĽr einen TempelÂ
ritter, der dort als mechanische Puppe in Lebensgröße bis heute
bei Bedarf mit den Ketten rasselt ; darüber wurde ein » Rittersaal «
fĂĽr die – fiktiven – ZusammenkĂĽnfte der neuen Tempelritter anÂ
gelegt.118 Die Franzensburg wurde nie bewohnt, aber von der kaiÂ
serlichen Familie häufig besucht, und war von Beginn an als » MuÂ
seum altdeutscher Denkmäler « öffentlich zugänglich.
Bis 1804 wurde die imaginäre mittelalterliche Welt der FranÂ
zensburg um einen in dieser Form einzigartigen » Rittergau « mit
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