Page - 73 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Image of the Page - 73 -
Text of the Page - 73 -
Schutzpatron fĂĽr ihn geworden. «239 Als international bestens verÂ
netzter Sammler erwarb sich Wilczek eine Kennerschaft auf dem
Gebiet der mittelalterlichen Kunst, » die ihn weit ĂĽber die MehrÂ
heit der Privatsammler der ganzen Welt hinaushob. «240
Wilczek hatte bereits als Kind mit dem Sammeln begonÂ
nen und mit Vierzehn seine erste Inkunabel erworben.241 Die
Objekte der zunächst noch keineswegs thematisch fokussierÂ
ten Sammlung waren vor dem Bau von Kreuzenstein im nahen
Schloss Seebarn und wohl auch im Palais der Familie in der HerÂ
rengasse aufgestellt und befanden sich damit – wie bei den meisÂ
ten Sammlern jener Zeit – in der unmittelbaren Wohnumgebung,
wodurch auch Prämissen fĂĽr die spätere Präsentation in den RäuÂ
men der Burg gesetzt waren.242 Wilczek hatte Seebarn von seiÂ
nem Freund Carl Hasenauer ( 1833 – 1894 ) neu gestalten lassen ;
in der Eingangshalle, die von einem von Hans Canon ( 1829 – 1885 )
gemalten Götterhimmel überwölbt wurde, präsentierte Wilczek
ausgewählte Ahnen in idealen Bildnissen von der Hand befreunÂ
deter Maler : Canon hatte Bischof Leopold Kolonitsch,243 Carl RuÂ
dolf Huber ( 1839 – 1896 ) das Bildnis des Gilbert von Saint Hilaire
beigesteuert, Makart den Eck von Reischach244 und Jan Matejko
( 1838 – 1893 ) das Porträt Wenzel Wilczeks gemalt. Hans Wilczek
selbst hatte sich mit einem Bildnis aus der Hand Franz Lenbachs
( 1836 – 1904 ) in diesen Stammbaum eingereiht.245 Über Seebarn
heiĂźt es in einem Zeitungsbericht von 1876, das Schloss sei eiÂ
gentlich » ein › Museum für Kunst und Industrie ‹, mit eigenen
Abtheilungen fĂĽr Naturkunde und Ethnographie. In diesem ganÂ
zen Hause dient auch nicht der geringste Gegenstand dem BeÂ
dürfniß, ohne zugleich der Kunst zu dienen. [ … ] Die kostbarsten
alten Möbel bilden den Hausrath ; Bronzen und Bilder der besten
Meister locken nach allen Seiten ; seltene Waffen und kunstreich
gearbeitete RĂĽstungen deuten auf die ritterliche Herkunft des
SchloĂźherrn ; RĂĽststĂĽcke und Andenken von den Polarreisen verÂ
rathen sein Interesse an diesen wissenschaftlichen Expeditionen ;
die ungeheuren Felle erlegter Löwen und Eisbären reichen sich
unter dem neutralen Klima dieser Salons die Pranken [ … ]. «246
Das nach mehreren Jahrzehnten des Sammelns zusammenÂ
gestellte Inventar vom Anfang des 20. Jahrhunderts vermittelt in
lapidarer Ăśbersicht zumindest eine Ahnung vom Reichtum der
Sammlungen.247 1926, vier Jahre nach dem Tod Wilczeks, wurde
der Gesamtumfang der Sammlungen schlieĂźlich auf mehr als
100 000 Einzelobjekte geschätzt.248 Nach wie vor harren diese
Sammlungen, soweit noch vorhanden, ihrer wissenschaftlichen
Erforschung, kaum etwas ist ĂĽber Wilczeks Austausch mit andeÂ
ren Sammlern und Museen bekannt. Eine Ausnahme bildet der
Kontakt zum Berliner Museumsdirektor Wilhelm von Bode.249
73Der
Sammler
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258