Page - 76 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Auch die Waffensammlung – eine der bedeutendsten in Ă–sterÂ
reich – ist noch in der Burg untergebracht.262 Unter den zahlreiÂ
chen Skulpturen aus Wilczeks Besitz zählten ein Vesperbild263
aus der Zeit um 1400 〚 31 〛 und ein Sitzender Bischof von Tilman
Riemenschneider264 zu den wichtigsten StĂĽcken.
GroĂźen Stellenwert in der Sammlung Wilczeks nahmen mitÂ
telalterliche Handschriften und Inkunabeln ein.265 Einer der
größten Schätze der Bibliothek von Kreuzenstein war eine um
1420 / 40 vermutlich in Wien entstandene, mit ganzseitigen MiÂ
niaturen geschmückte Abschrift des » Jüngeren Titurel « Albrechts
von Scharfenberg 〚 32 〛, die die Bedeutung mittelalterlicher RitÂ
terepen sowohl fĂĽr den Sammler Wilczek, als auch die KonzepÂ
tion seiner Burg belegt.266
Die Möbelsammlung hat ihr Hauptstück im Sakristeischrank
aus Neustift bei Brixen 〚 91 〛, an dessen Erwerb sich Wilczek wie
folgt erinnerte : » Mein bedeutendstes gotisches EinrichtungsÂ
stück, ein Schrank, der wohl der größte aus dieser Zeit in der
ganzen Christenheit ist, wurde mir von den Mönchen des Stiftes
Neustift bei Brixen angeboten, da sie von Sammlern und HändÂ
lern so gequält wurden, ihn herzugeben, und in solcher Angst lebÂ
ten, daß er in unrechte Hände kommen würde, daß sie ihn mir
durch meinen Freund Rudolf Haidinger um wohlfeiles Geld anÂ
tragen lieĂźen. Ich kaufte ihn, ohne ihn noch gesehen zu haben,
und stellte ihn im Saal der Burg auf. «267
Wie bei anderen Sammlern auch waren nicht zuletzt solche
Objekte von besonderer Bedeutung, die durch das Wissen um
ehemalige Besitzer den konkreten historischen Bezugsrahmen
mit der Aura einer Reliquie verbanden.268 〚 33 〛
Adalbert Franz Seligmann hat Wilczeks Sammelleidenschaft und
Geschichtsversessenheit im Jahr 1907 als Reaktion auf eine als
unzulänglich empfundene Gegenwart verteidigt : » Diese › Flucht
in die Vergangenheit ‹ ist bei einem feinfühligen Kunstliebhaber
zu begreifen. Die Art, wie heute Kunst – und nicht nur diese ! – als
Geschäft oder als Politik betrieben wird, der kollektivistisch deÂ
mokratische Zug unserer Zeit, der auch in der Kunst sich geltend
macht und auf der anderen Seite als Opposition ein affektiertes
Aesthetentum und einen krampfhaften Pseudo IndividualisÂ
mus groĂźgezogen hat, die Abkehr von aller Tradition, die laute
Anmaßlichkeit, mit der sich zumeist jene vordrängen, die es am
wenigsten nötig hätten – alles das mag einem vornehmen Geist
das Kunsttreiben der Gegenwart so weit verleiden, daĂź er ĂĽberÂ
haupt nichts damit zu tun haben will. [ … ] Wenn aber solches LeÂ
ben und Weben im Vergangenen bei manchem anderen als MaÂ
rotte oder Donquixoterie erscheinen könnte, ist hier davon keine
76 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258