Page - 137 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Jene des Chores ( aus dem 14. Jahrhundert ) stammen zum Teil aus
der 1853 / 54 abgebrochenen Kapelle der Grazer Burg und stellen
Szenen aus der Vita Christi und Apostelfolgen dar.411 Die hochgo
tischen Glasgemälde des Westfensters 〚 79 〛 gelangten aus einem
Kloster in der Nähe des damals ungarischen, heute slowakischen
Kistapolcsány / Topoľčianky in die Sammlungen Wilczeks.412 Das
Orgelgehäuse ist eine vereinfachte Kopie der aus dem 15. Jahrhun
dert stammenden Orgel von Kiedrich im Rheingau.413 Im Orato
rium, dessen frühgotische, heute nicht mehr in situ vorhandene
Glasgemälde aus Beelitz in Brandenburg stammten 〚 81 〛, steht bis
heute ein großes, wiederum aus mehreren Teilen zusammenge
setztes Chorgestühl, das möglicherweise Familienmitgliedern
vorbehalten war, in jedem Fall aber den besonders ausgezeichne
ten Sitzplatz einer hochgestellten Persönlichkeit markiert.
Darüber hinaus ist der Kapellenraum mit zahlreichen Skulp
turen, Reliefs und liturgischem Gerät ausgestattet ; das histori
sche Inventar verzeichnet nicht weniger als 131 Objekte, und al
lein im Oratorium waren 295 weitere Gegenstände aufgestellt.414
Auffällig sind die vielen, meist mit qualitätvollen Schnitzereien
geschmückten Zunftstangen, deren eine als Erinnerung an die
Polarexpedition die Fahne des Schiffes » Isbjörn « trägt.415 Den
Triumphbogen schmückt ein bedeutender spätgotischer Kruzifi
xus,416 〚 75 〛 an der Westwand unter der Empore hängt über einem
Tiroler Chorgestühl von 1475 ein weiterer, aus der Heiligblutkir
che in Friesach stammender Gekreuzigter des 14. Jahrhunderts.417
An der Nordseite des Langhauses 〚 77 〛 drängen sich die plastischen
Arbeiten aneinander : In der Taufnische steht ein von Löwen getra
genes romanisches Taufbecken aus Italien, in die Wand darüber ist
ein frühchristliches Relief aus parischem Marmor aus der Gegend
von Padua eingelassen.418 Auch die Schutzmantelmadonna im
Tympanon des Portals ist eine italienische Arbeit.419 Beim Blick
fang der Nordwand handelt es sich indes um eine Kopie : Die be
rühmte, bis heute im Stift St. Florian aufbewahrte Ritterfigur aus
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts konnte Wilczek offenbar
nicht für seine Sammlungen erwerben und musste sich mit einer
Steingusskopie begnügen.420 Die zentrale Positionierung dieser
monumentalen idealisierenden Darstellung eines miles christia
nus zeugt emblematisch von der wichtigen Rolle, die der mythi
schen Gestalt des Ritters in der Konzeption von Kreuzenstein
zukommt.421
Als Sitte 1898 die erst kurz zuvor fertiggestellte und noch nicht
endgültig eingerichtete Kapelle beschrieb, beeindruckte ihn die
» weihevolle Stimmung « und das » Ungewöhnliche und in der neu
eren Kunst einzig Dastehende des hier Erreichten «422 über alle
Maßen : » Dasjenige, was zuerst den Blick fesselt, ist der Hochaltar
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Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258