Page - 138 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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mit seiner nächsten Umgebung. Eine Symphonie von Farbe und
Helldunkel, das ist der erste Eindruck und es ist auch das letzte
Wort, das man mit Bewusstsein darĂĽber ausspricht nach KenntÂ
nisnahme aller Einzelheiten und aller Hilfsmittel, welche hier anÂ
gewendet wurden, dieses Meisterstück zu schaffen. «423
Die räumlich, künstlerisch und inhaltlich zentrale Position
der Kapelle bliebe ohne den Zusammenhang mit der darunterlieÂ
genden Gruft unverständlich. Die Kapelle dient dem Gedenken
an verstorbene Familienmitglieder und ist so auch ein FamilienÂ
denkmal im Gewand eines Sakralraumes : » Das Hauptanliegen der
Kreuzensteiner Kapelle besteht daher kaum in der Weckung reliÂ
giöser Gefühle, nicht einmal mehr primär der Sakralisierung der
Historie, es kommt zu einer › Profanierung ‹ des ideellen Gehaltes
des Sakralraumes. «424 Im Reichtum ihrer Ausstattung wird die KaÂ
pelle zu einem Museum mittelalterlicher sakraler Kunst und ist
durch die Verbindung mit der Gruft zugleich auch ein Angelpunkt
fĂĽr die Interpretation der gesamten Anlage. Das anfängliche VorÂ
haben des Bauherrn, in ruinösem Umfeld lediglich die Kapelle als
sichtbares Monument der Familie wieder zu errichten, wurde im
weiteren Verlauf durch den vollständigen Neubau der Burg ĂĽberÂ
lagert. Das ursprĂĽngliche Projekt einer religiös grundierten FamiÂ
lienmemoria, wie es im Bau von Gruft und Kapelle zum Ausdruck
kommt, erhielt einen neuen Kontext und wurde Teil des GesamtÂ
konzepts der historischen Rekonstruktion und Inszenierung eiÂ
ner mittelalterlichen Burg. Der religiöse Charakter der Kapelle ist
– wie die gesamte Burg – in erster Linie bildhaft zu verstehen.
In den heute nicht mehr zugänglichen Nebenräumen der KaÂ
pelle muss dem Besucher dereinst der umfassende, bis ins scheinÂ
bar Nebensächliche reichende Gestaltungswille des Bauherrn
deutlich geworden sein. Die Sakristei im ErdgeschoĂź des BergÂ
frieds 〚 82, 83 〛 bezeichnete Camillo Sitte aufgrund der KostbarÂ
keit der Objekte als wahren » Museumsraum « : » An den Wänden
ist eine FĂĽlle von Reliquiaren auf Consolen angebracht, die RipÂ
penträger gehörten vordem einer zerstörten Kirche am Inn ; die
Piscina ist altitalienisch ; der Ofen zwar neu, aber alten, auf KreuÂ
zenstein gefundenen Kacheln nachgebildet ; ein kleiner Kasten
fĂĽr Kirchengeräthe befand sich frĂĽher in der Sammlung des BildÂ
hauers Hanns Gasser « ; das » Prachtstück der Sammlung « bildete
ein – wie zahlreiche andere Möbel und Einrichtungsgegenstände
stark ergänzter – Paramentenschrein aus Tamsweg von 1455.425
In der über der Sakristei gelegenen Pfaffenstube 〚 85, 86 〛 und der
Glöcknerstube 〚 84 〛 einen Stock höher, einem der Lieblingsräume
des Bauherrn,426 setzte sich der Reigen von kostbaren AusstatÂ
tungsstücken fort. Die Pfaffenstube enthielt » einen Schrank
des XV. Jahrhunderts aus Klagenfurt [ … ] ; ein wohlerhaltenes,
138 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258