Page - 182 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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durch eine subtile Angleichung des neu Errichteten an den AltÂ
bestand. Alles Neue wird mit » künstlicher Patina «543 überzogen,
sodass nicht mehr zwischen Alt und Neu differenziert werden
kann. Es ist daher von großer Bedeutung, dass möglichst viel des
an der Oberfläche sichtbaren Materials nicht nur authentisch
wirkt, sondern auch tatsächlich aus dem Mittelalter stammt.
Am AuĂźenbau erstreckt sich dieser Anspruch vom SteinmauerÂ
werk ĂĽber Holzkonstruktionen und Ziegeleindeckungen bis hin
zu Türblättern, Beschlägen und Gittern.544 Im Inneren reicht er
bis in die kleinsten Ausstattungselemente : Somit stehen selbst
die aus historischen Einzelteilen und modernen Ergänzungen
zusammengesetzten Möbel stellvertretend für die nach einem
ganz ähnlichen Verfahren » konstruierte « Burg als Ganze. 〚 83 〛
Was nicht im Original zu beziehen war, das wurde – aus histoÂ
rischem Material545 – kopiert und auf diese Weise integriert.546
Wenn etwa der Bergfried aus dem Baumaterial eines mittelalterÂ
lichen Turmes am Inn errichtet wurde,547 dann gehen durch die
historischen Bauteile gleichsam Partikel historischer AuthentiziÂ
tät ebenso in den Neubau ĂĽber, wie die längst verblasste ErinneÂ
rung an den namenlosen Turm am Inn, der dem neuen Kontext
einverleibt wurde.
Die Spolien von Kreuzenstein stellen die permanente AnweÂ
senheit des Vergangenen im Neubau sicher. Architektur und BauÂ
plastik, Skulpturen, Gemälde, Mobiliar und Kunsthandwerk sind
die Elemente eines neuen Textes, der das Mittelalter nicht meÂ
lancholisch beschwört, sondern vielmehr selbst den Anspruch zu
erheben scheint, Mittelalter zu sein : Johann Paukert, der ArchiÂ
var der Burg, beschwor 1911 » das geschlossene Gemälde der VerÂ
gangenheit Kreuzensteins, das der Wunderbau uns bietet « und
sprach vom » Triumph der Feste in ihrer herrlichen WiedergeÂ
burt «.548 In dieser umfassenden Evokation ist die Funktion der
Fragmente, alten Objekte und Spolien aufs engste mit den zahlÂ
reichen direkten oder indirekten architektonischen Verweisen
auf reale mittelalterliche Bauten verbunden. Ludwig Hevesi beÂ
mĂĽhte sich im Jahr 1907, Besonderheit und Aktualität KreuzenÂ
steins im anbrechenden 20. Jahrhundert zu charakterisieren :
» Ein Lebensbau, der werdend und wachsend die Jahre und JahrÂ
zehnte des Bauherrn begleitet [ … ]. Unsere moderne Zeit, die ihre
Ziele in die Zukunft hinaussteckt oder zu stecken meint, kann
doch auch dieser Art von Idealismus, von zweckvollem HeraufÂ
beschwören, von Weiterträumen des scheinbar AusgeträumÂ
ten, seinen geistigen Anteil nicht versagen. Kreuzenstein ist
keine willkĂĽrliche Liebhaberei, sondern hat seine eigene Art von
posthumem Leben, denn es ist ein Organismus, der von innen
heraus getrieben hat und blüht. [ … ] So kommt dieses Bauwerk
182 Herrschaft der Dinge
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258