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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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24 Bilder, Nachrichten, Sensationen · Die Zeitungsstadt Wien um 1900 ringt wurde von einer Schar Neugieriger, welche mit ihm die Bilder betrachteten, man mußte die Scharen gesehen haben, um sich einen Begriff von der Zahl der Leser der letzten Nummer unseres Blattes zu machen! Wir konnten den stürmischen Aufforderun- gen der Vorstadt- und Vororte-Verschleißlocale nicht rechtzeitig entsprechen, und so kamen diejenigen, die das Blatt haben wollten, selbst in unser Local, um die sensationelle Nummer mindestens in der Ausla- ge zu sehen. Am Ende der Woche hatten wir 80 000 Exemplare verkauft, ohne jedoch alle Nachfragen befriedigt zu haben. Wir glauben ein interessantes Bild des Wiener Straßenlebens zu bringen, indem wir das Treiben vor unserem Expeditionslocale am Tage, wo die letzte Nummer des ‚Interessanten Blattes‘ er- schien, reproduciren.“3 Wenige Wochen später, im März 1884, beginnt „unter riesigem Andrange des Publicums“ im Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts die Verhandlung gegen die beiden Angeklagten Schenk und Schlossarek. Wieder berichtet Das interessante Blatt über das Ereignis. Die Mörder und ihre Opfer werden neuerlich in Bildern vorgestellt. Die Vorla- ge, so wird diesmal betont, „ist nach authentischen Photographien von einem unserer ausgezeichneten Künstler hergestellt worden“.4 Wochen später be- schäftigt das Blatt die Affäre noch ein weiteres Mal. Am 24. April 1884 berichtet die Zeitung über die „Justificirung“ der beiden Verurteilten. Eine neue Massenpresse entsteht Der Bildbericht über die Schulerstraße ist ein spannendes kultur- und mediengeschichtliches Do- kument – aus mehreren Gründen. Er porträtiert ei- nen Ort – Wiens Zeitungsstraße –, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Produktionsstätte der öffentlichen Meinung immer wichtiger wird. Er schil- dert anschaulich eine Szene im öffentlichen Raum, in dem die Zeitung und ihr Publikum miteinander in Kontakt treten. Die Institution Zeitung, die gerne über die Welt, aber selten über sich und ihre Leser selber berichtet, wendet hier ausnahmsweise den Blick nach innen. Wir erfahren Details über Aufla- ge und Vertrieb, über den Weg der Zeitung von der Druckerei, den Transport per Zeitungswagen in die Expedition und von dort über die Zeitungsausträger bis hin zu den Verschleißstellen, den Orten des Ver- kaufs. Geschildert wird aber auch die Stimmung der Schau- und Leselustigen auf der Straße, die von ei- nem sensationellen Thema (einem Mädchenmord) in den Bann gezogen werden. Diese Nahaufnahme der Wiener Zeitungsstraße zeigt weit mehr als ein lokales Stimmungsbild. Sie vermittelt – pars pro toto – einen interessanten Ein- blick in das Innenleben der gesamten Stadt, die sich in diesen Jahren in einem tief greifenden medialen Umbruch befindet. Der Bericht zeigt, wie eine neue politische Macht die Bühne betritt: der illustrierte Boulevard. Das sind Zeitungen neuen Typs, die ihre Macht über die Bebilderung entfalten und sich nicht zufällig an das breite Publikum auf der Straße rich- ten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Zeitung die bei Weitem wichtigste Agentin der öffent- lichen Meinung. Diese Zeitungswelt ist in den 1880er und 1890er Jahren in Wien, aber auch in anderen eu- ropäischen Metropolen in einem radikalen Umbruch begriffen. Auch davon berichtet – bei aufmerksamer Lektüre – die Reportage über die Schulerstraße. Neben den klassischen Tageszeitungen tauchen nun neuar- tige, populär aufgemachte Zeitungen auf, die sich an ein breites Massenpublikum wenden. Sie sind billig, ihre Auflage ist hoch, sie finanzieren sich zu einem Gutteil über die Anzeigen. Ihren Anfang nimmt diese Entwicklung in den USA, wo die ersten Massenblätter (etwa der New York Herald oder die New York Tribune) bereits ab den 1860er Jahren enorme Auflagensteige- rungen verzeichnen können. Ab 1863 erscheint das erste Massenblatt Frankreichs, das Petit Journal, ab 1896 die englische Daily Mail und ab 1898 das erfolg- reichste amerikanische Tabloidblatt, die New York World Joseph Pulitzers, die es um die Jahrhundertwende auf eine Auflage von 1,5 Millionen bringt. Während 1870 in den USA noch täglich 2,6 Millionen Zeitungen verkauft werden, steigt die Zahl bis 1900 auf über 15 Millionen an.5 Ab den 1890er Jahren expandiert die- ser populäre Sektor der Presse auch in Europa rasch. In Österreich gründet Jacob Lippowitz mit dem Neuen Wiener Journal 1893 das erste täglich erscheinende Massenblatt der Monarchie. Es ist billig, setzt ganz
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Subtitle
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Author
Anton Holzer
Publisher
Primus Verlag
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Size
23.0 x 29.0 cm
Pages
498
Keywords
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Category
Medien

Table of contents

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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