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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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91 „In einem Zeitalter, wo die ,Nerven‘ eine so große Rolle spielen und wo die Heilanstalten nicht im Stan- de sind, alle Leute aufzunehmen, die dort Zuflucht und Gesundheit suchen, ist die Bedingung: Kaltblü- tigkeit – eine sehr strenge Forderung. Und doch ist sie die weitaus notwendigste Eigenschaft des Luftschif- fers. Dann kommt als zweites: eine Körperkonstitu- tion, die Strapazen ertragen kann.“1 Als der öster- reichische Ballonpionier Franz Hinterstoisser 1904 in einem autobiografischen Rückblick diese Sätze schreibt, skizziert er die Erfahrungen des Luftschif- fers als Gegenpol zur diagnostizierten Kulturkrise. Während der Durchschnittsmensch an den „Nerven“ und an der Hektik der Großstadt leide, schaffe es der Ballonpionier – dank seiner Kaltblütigkeit und Stärke –, der kränkelnden Zivilisation kraftvoll entgegenzu- treten. Er, der Luftschiffer, sei der wirkliche Anti- pode zur angeschlagenen Kreatur am Boden, er sei das Vorbild, wenn es um die Schulung von Geist und Körper gehe. Bei den Ballonfahrten, so Hinterstoisser, „lernen wir unter neuen, nicht gewöhnlichen, ganz eigenartigen Bedingungen das Leben kennen – ein Reiz, den das Menschengeschlecht erst zu kosten be- gonnen hat und der nur wenigen Auserlesenen zu genießen ermöglicht ist. Frohgemut und willenlos folgen wir der Windsbraut, bis wir wieder den Ballon mit Überlegung, Ruhe und Geistesgegenwart zur Erde zwingen; das alles stählt unsere Nerven zum weiteren Kampf im täglichen Leben, macht unser Herz gesund von all den vielen kleinlichen Sorgen und zeigt uns die erhabene Größe der Natur im stolzen, einsamen Fluge über jene Welt, die so klein ist.“2 Der Traum vom Verlassen der Erde, das zeigen die- se Passagen, wird als Flucht aus dem bedrückenden Alltag der städtischen Zivilisation imaginiert. Diese Sehnsucht erfasst um die Jahrhundertwende eine ganze Generation. Die Ballonhelden, die die Welt der Lüfte gesehen und erlebt haben, werden am Boden stürmisch empfangen. Das gilt für auch für Hinter- stoisser selbst. Seinen Lichtbildvortrag „In den Lüf- ten“ präsentiert er unzählige Male. Allein im Jahr 1898 tritt er 98-mal vor Publikum auf, bis 1903 hält er den Vortrag insgesamt 300-mal.3 Noch kurz nach der Jahrhundertwende gilt es als ausgemacht, dass die Zukunft der Luftfahrt dem Bal- lon oder allenfalls dem jüngst entwickelten Zeppelin gehört. In den folgenden Jahren verschieben sich die Gewichte aber schlagartig. Die Ballonpioniere erhal- ten ernsthafte Konkurrenz durch neuartige Flugge- räte, die schwerer sind als Luft: Flugzeuge. Ein neu- er Typus des Aviatikers tritt auf: der Flugzeugpilot. Noch hat sich kein allgemeingültiger Begriff für diese motorgetriebenen Luftschiffe etabliert. Sie werden Aeroplane, Drachenflieger oder einfach Apparate ge- nannt. Der erste Flug der Brüder Wright im Prototyp eines Aeroplans im Jahr 1903 ist noch ein unsicheres Hoppeln über den Boden. Zwölf Sekunden lang hebt das Gerät ab, nach 36 Metern ist es wieder am Boden. Bald aber werden die Fluggeräte verbessert. Immer weiter fliegen die neuen Apparate. Als die Brüder Wright sich 1908 entschließen, ihre Erfindung, die sie zunächst weitgehend im Geheimen weiterentwickelt haben, in Form von Flugshows öffentlichkeitswirk- sam zu bewerben, geht es Schlag auf Schlag. Immer neue Pioniere tauchen auf, immer neue Wettrennen werden veranstaltet und lukrative Preise ausgelobt. Am 13. Januar 1908 gelingt es dem französische Flug- pionier Henry Farman als erstem Menschen, einen Kilometer im motorgetriebenen Flugzeug zurückzu- legen. Er erhält 50 000 Francs Preisgeld. Monat für Monat werden nun neue Rekorde aufgestellt. Als Wil- bur Wright am 31. Dezember desselben Jahres eine Strecke von 124 Kilometern in zwei Stunden und 20 Minuten zurücklegt, zweifelt niemand mehr an der Zukunft der motorgetriebenen Luftfahrt. Innerhalb weniger Monate ist aus dem techni- schen Spleen einiger weniger eine Masseneuphorie geworden. In vielen Städten Europas werden nun Als die Männer fliegen lernten · Die  ersten  Wiener  Flugschauen 9
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Subtitle
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Author
Anton Holzer
Publisher
Primus Verlag
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Size
23.0 x 29.0 cm
Pages
498
Keywords
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Category
Medien

Table of contents

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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