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Im Juni 1929 blickt ganz Österreich nach Amerika,
in das Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkei-
ten. Ein junges Wiener Mädchen, 20 Jahre alt, hat den
sagenhaften Aufstieg über Nacht geschafft: Sie ist zur
„Miss Universe“ gekürt worden (Abb.
1). Ihr Name
ist Lisl Goldarbeiter. Sie ist, so berichtet die Presse,
„groß, hat braune Haare, die sie halblang trägt, und
große blaue Augen, die merkwürdig ruhig und sicher
in die Welt blicken.“1 (Abb.
2) Goldarbeiter ist die
Tochter eines Wiener Ledergalanteriewarenhändlers,
hat das Realgymnasium absolviert und entschließt
sich auf Zureden eines Freundes, an einem Wiener
Schönheitswettbewerb teilzunehmen. Sie wird einge-
laden und gewinnt die Wahl zur „Miß Austria“. Als
Siegerin fährt sie nach Paris und wird dort Zweite.
Dann kommt die Einladung nach Galveston, Texas,
USA. Hier findet 1929 die Wahl zur Miss Universe statt. Elf Konkurrentinnen aus aller Welt treten an.
Von sieben Preisrichtern stimmen sechs für die Öster-
reicherin. Sie ist die erste Ausländerin, die den Preis
gewinnt. Mit einem Schlag ist die junge Wienerin ein
begehrtes Fotomodell – und weltberühmt.
1929 ist die Amerikafaszination in Österreich auf
einem Höhepunkt angekommen. Amerika, das ist in
diesen Jahren ein traumhaftes Gegenbild zur harten
Realität im eigenen Land. Sehnsüchtig blickt man
aus dem verarmten Kleinstaat, der gerade die Mon-
archie abgeschüttelt hat, in die amerikanische Ferne,
wo Unmögliches möglich scheint. In Gestalt von Lisl
Goldarbeiter ist dieser Traum für einen Augenblick
Wirklichkeit geworden.
Die junge Schönheitskönigin erscheint als Glücks-
fee. Wenige Wochen bevor sie nach Amerika abreist,
tritt sie in genau dieser Rolle als Schauspielerin in
Amerika, ein Traum
Wolkenkratzer und Tiller Girls 19
Abb.
1 Schönheitskonkurrenz
in Galveston, USA. Defilee
im
Badeanzug, kurz bevor die Wahl
beginnt.
Lisl Goldarbeiter, die
spätere Siegerin, ist die Zweite
von rechts. Das interessante
Blatt, 4.
Juli
1929, S.
2.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang