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29Das
Diktat der Ökonomie
Eineinhalb Jahrzehnte lang stehen Das interessan-
te Blatt und die Wiener Bilder in kommerzieller Kon-
kurrenz zueinander. Im Jahr 1911 schließlich kommt
es zum Zusammenschluss der beiden Blätter. Hinter
dem Coup steht der Wiener Druckereibesitzer und
Verleger Karl Groak.15 Er steigt zunächst als Kompag-
non bei den Wiener Bildern ein und erreicht später das
Zusammengehen mit dem Interessanten Blatt. Als neu-
er Eigentümer fungiert die 1910 gegründete Österrei-
chische Zeitungs- und Druckerei-Aktiengesellschaft,
die damit für einige Jahre zum unumstrittenen Markt-
führer in der österreichischen Illustriertenlandschaft
wird.16 Der Konzern dominiert zwar den Zeitungs-
markt im Bereich der illustrierten Presse, auf dem
österreichischen Zeitungsmarkt insgesamt aber gibt
es in diesen Jahren noch weit größere Unternehmen,
allen voran den Elbemühl-Konzern und das Unterneh-
men Steyrermühl sowie nach dem Ersten Weltkrieg
die Gesellschaft für Graphische Industrie. Das öko-
nomische Rückgrat beziehen diese Firmen aus dem
Besitz zahlreicher Papierfabriken. All diese Konzerne
kaufen laufend neue Zeitungen und Verlage hinzu.17
Im Jahr 1911/12 lässt Karl Groak für seinen neuen
Medienkonzern in der Rüdengasse 11, im 3. Wiener
Gemeindebezirk, also außerhalb der Ringstraße, ein
hochmodernes Verlags-, Druckerei- und Redaktions-
gebäude errichten.18 In den folgenden Jahren dehnt
der Konzern sein Mediengeflecht weiter aus. Beste-
hende Illustrierte wie das 1906 gegründete Illustrierte
österreichische Sportblatt (Abb. 5) oder Neugründun-
gen wie das Familienblatt Der Sonntag (1911 bis 1913)
ergänzen das Programm. Gemeinsam ist ihnen, dass
sie sehr stark auf fotografische Illustration setzen und
sich somit von herkömmlichen, textlastigen Wochen-
zeitungen abheben.19
Das Diktat der Ökonomie
In vielen europäischen Ländern, nicht nur in Ös-
terreich, haben um 1900 Zeitungen Erfolg, die in
ihrer Berichterstattung vorwiegend auf Bilder, vor
allem auf fotografische Bilder setzen. Die neue Ten-
denz in der Zeitungslandschaft lautet: Sensationen
sind wichtiger als bloße Nachrichten. In Frankreich
etablieren sich neben der traditionsreichen Zeitung L’Illustration weitere illustrierte Blätter, u. a. La Vie
Illustrée, Excelsior, Le Miroir, Le Pays de France sowie
eine Reihe von anderen Unterhaltungs- und Modezeit-
schriften. In England heißt die alteingesessene füh-
rende bürgerliche Illustrierte The Illustrated London
News, daneben gibt es andere anspruchsvolle illust-
rierte Blätter wie Sphere und Graphic sowie weitere
billigere Unterhaltungsblätter. In Deutschland erhält
die altehrwürdige, sich an ein gehobenes Bürgertum
wendende Leipziger Illustrirte Zeitung kurz vor der
Jahrhundertwende Konkurrenz von innovativeren
Illustrierten wie der Woche und der Berliner Illustrir-
ten Zeitung, die eine überregionale Reichweite haben.
Ergänzt werden diese Illustrierten durch regionale
Blätter und zahlreiche weitere Unterhaltungszeit-
schriften. In Ungarn erscheinen u. a. Érdekes Újság
(Die interessante Zeitung), Új Ido˝k (Neue Zeiten), A
Hét (Die Woche) und Ország Világ (Land und Leute), in
Böhmen u. a. Zlatá Praha (Das goldene Prag), Praha.
Demni list vystavni (Prag. Tägliches Ausstellungsblatt)
und Cˇesky sveˇt (Tschechische Welt). Auch eine Rei-
he von führenden Tageszeitungen bringt nach 1900
halbwöchentlich (meist mittwochs) oder wöchentlich
(meist samstags oder sonntags) erscheinende fotogra-
fisch illustrierte Beilagen auf den Markt.20 Die nach
der Jahrhundertwende massiv einsetzende Hinwen-
dung zur Fotografie geschieht nicht zufällig. Die He-
rausgeber, Verleger und Eigentümer folgen darin vor
allem dem geschäftlichen Credo.
Die wegweisenden Innovationen in der illustrier-
ten Zeitungslandschaft kommen in diesen Jahren
aus Berlin: Große Konzerne, wie Scherl, Mosse und
vor allem Ullstein, revolutionieren den Markt.21 Mit
unterschiedlichen Mitteln gelingt es diesen Unter-
nehmen, sich vor und um 1900 als dominierende
Medienhäuser zu etablieren und die Auflage ihrer
Blätter rasant zu steigern. Mosse setzt auf die syste-
matische, aggressive Erschließung neuer Anzeigen-
geschäfte, Scherl auf neue Vertriebsformen, indem
er Gratis- und später Billigzeitungen mit einer Mas-
senauflage produziert. Das Haus Ullstein schließlich
verdankt seinen ökonomischen Erfolg ursprünglich
der Papierproduktion und später sehr stark seinem
leistungsfähigen Druckereigewerbe, aus dem ein
weitverzweigter Medienkonzern hervorgeht.22 Abb. 5 Illustriertes Öster-
reichisches Sportblatt,
29.
März
1913, Titelseite. Foto: Heinrich
Schuhmann sen.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang