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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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94 Als die Männer fliegen lernten · Die ersten Wiener Flugschauen „Der Kaiser, der während der Flugbewegungen sich mehrmals auch an den Impresario Müller wand- te und sich von ihm seine jeweiligen Höheschätzun- gen bestätigen ließ, die zutreffend waren, trat, als er Blériot zur Erde kommen sah, weit vor und ging dem Luftschiffer entgegen, der seinen Sitz verließ. Der Kaiser reichte Blériot, der die Mütze abnahm, die Hand und schüttelte sie kräftig. ‚Es war ein sehr inte- ressantes Schauspiel‘, sagte der Kaiser. ‚Ich bewunde- re den Mut und die Ausdauer, mit dem Sie das Werk geschaffen haben. Allein, es hat alle Mühe gelohnt. Die Stabilität des Apparats ist ebenso vorzüglich, wie die Sicherheit der Operationen.‘ Nach einem Dankes- wort Blériots fragte der Kaiser: ‚Ist das Fahren in der Luft und Dirigieren der Mechanik anstrengend?‘ Blériot erwiderte. ‚Jetzt nicht mehr, Majestät. Jetzt ist es das reine Vergnügen für mich.‘ Danach trat der Kaiser mit einer leichten Verneigung und den Wor- ten: ‚Sehr hübsch! In der Tat sehr hübsch!‘ ein wenig zurück.“13 22 Minuten dauert der erste Flug. Blériot steigt bis zu 70 Meter hoch auf und dreht seine Runden über dem Flugfeld mit einer Geschwindigkeit von rund 50 Kilometern pro Stunde. Das Publikum ist begeistert. Blériot landet, nimmt vom Monarchen die Glückwün- sche entgegen und bittet diesen, noch zu einem zwei- ten Flug zu bleiben. Er „vollführte nun durch 16 1/2 Minuten die kühnsten Manöver, wobei sich der Ap- parat bei den scharfen Wendungen oft ganz seitwärts neigte.“14 Nach der zweiten Landung zieht sich der Kaiser unter brausenden Hochrufen zurück. Blériot flüchtet, so berichtet die Presse, vor den stürmischen Ovationen der Zuschauermassen in sein Auto und kehrt ebenfalls in die Stadt zurück. Wenige Tage später widmen die Wiener Bilder dem Ereignis vom Wochenende die Titelseite. Unter der Schlagzeile „Blériots Flug vor dem Kaiser“ findet sich eine Zeichnung, die den Kaiser inmitten der aristo- kratischen Gesellschaft am Rande des Flugfeldes zeigt (Abb. 2). Während er in ein Gespräch mit der Frau Blériots vertieft ist, zieht im Hintergrund die Flugmaschine vorbei. „Auf der Simmeringer Haide“, so heißt es im Innenteil derselben Nummer, „ist et- was geschehen, was tausende Wiener, die zugegen waren, dereinst ihren Kindern und Kindeskindern er- zählen werden. Sie waren dabei, als hier zum ersten Male gesehen wurde, was vor wenigen Jahren nur als Traum von Sonderlingen gelten konnte. Die Erden- schwere zu überwinden, nicht durch Gase, sondern durch den Auftrieb der Luft, wie es der Vogel macht, durch die Nachahmung der Natur und durch Ablau- schen aller Widerstandsgesetze der Luft, ist so neu, daß sich kaum sagen lässt, es wäre schon früher in den Vorstellungen gewesen.“15 Schwierigkeiten der Wahrnehmung Warum verwenden die Wiener Bilder für ihre Titel- illustration eine Zeichnung und nicht eine Fotografie? Immerhin hat sich in der illustrierten Wochenpresse das Foto bereits als dominantes Bildmedium durch- gesetzt. Zur Bebilderung mancher Themen greifen die Redaktionen der illustrierten Blätter aber immer noch auf die Zeichnung zurück. Diese ist eher als die Fotografie imstande, eine komplexe Szene visuell zu vereinfachen und verdichten. Ebenso gelingt es ihr besser, unterschiedliche, nacheinander stattfindende Momente in ein und demselben Bild zusammenzu- führen, etwa das Gespräch mit Blériots Frau und den Flieger in der Luft (vgl. Abb. 3). Dramatische, sich schnell bewegende und verändernde Szenen wie etwa der Aufstieg und der Flug des Aeroplans, der nur aus größerer Entfernung abzulichten ist, stellen nach wie vor eine Herausforderung für die Pressefotografen dar, die in diesen Jahren noch mit schweren Platten- Abb. 2  „Blériots  Flug  vor  dem  Kaiser“.  Die  Zeichnung  zeigt  Franz  Joseph  am  23.  Oktober  1909  am  Rande  des  Flugfeldes  auf  der  Simmeringer  Haide  im  Gespräch  mit  Blériots  Frau.  Im  Hintergrund  ist  Louis  Blériot  in  der  Luft  zu  sehen.  Wiener Bilder,  27.  Oktober  1909,  Titel-  seite.
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Subtitle
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Author
Anton Holzer
Publisher
Primus Verlag
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Size
23.0 x 29.0 cm
Pages
498
Keywords
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Category
Medien

Table of contents

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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