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151Rüdengasse
11 – Ein Zentrum der Bildpresse
ihrem Segment den Markt. Es gibt zwar in den 1920er
Jahren eine Reihe von Tageszeitungen, die – oft eher
kurzlebige – illustrierte Wochenendbeilagen drucken,
aber die Qualität ihrer Bildberichterstattung bleibt be-
scheiden.25 Eine ernsthafte Konkurrenz für die etab-
lierten illustrierten Wochenzeitungen sind sie nicht.
Lediglich die Beilage Bühne, Welt und Mode, die zwi-
schen 1925 und 1932 zusammen mit den Wiener Neu-
esten Nachrichten erscheint, erlangt trotz schlechter
Druckqualität und einfacher Gestaltung eine gewisse
Reputation.
Das Verlagshaus in der Rüdengasse 11 beherbergt
nicht nur die Druckerei und die Redaktionen des Inte-
ressanten Blattes und der Wiener Bilder. Im selben Ver-
lag erscheinen auch Gesellschafts- und Fachmagazine
wie die Radio-Welt, die Illustrierte Radiozeitung oder
das Illustrierte Sportblatt. In den 1920er Jahre gelingt
es dem Konzern, das Spektrum der verlegten illust-
rierten Zeitschriften ständig zu erweitern. Die meis-
ten illustrierten Zeitungen des Verlags werden im
modernen Kupfertiefdruck hergestellt, einer Druck-
technik, die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre im
Bilderdruck allmählich zum Standard wird.26
Die Verlagsleitung gibt sich nach außen politisch
unabhängig, in Wirklichkeit aber sucht sie stets die
Nähe zur christlichsozialen Regierung und unter-
stützt diese recht offen, vor allem als sich die Aus-
einandersetzung mit der Sozialdemokratie Anfang
der 1930er Jahre zuspitzt.27 Nach 1934 wird die
Kooperation mit der Regierung noch enger, regie-
rungseigene Blätter, etwa die extrem auflagenstarke
Propagandaillustrierte Österreichische Woche wird
in der Druckerei in der Rüdengasse gedruckt. Die
Illustrierte wird auf Geheiß des Österreichischen
Heimatdienstes, der Propagandaeinrichtung der dik-
tatorischen Regierung, zahlreichen konservativen
Tageszeitungen beigelegt.
Die unmittelbare Nachkriegszeit beginnt für den
Verlag turbulent. 1919 geht die Österreichische Zei-
tungs- und Druckerei-Aktiengesellschaft, also jenes
Unternehmen, das für Das interessante Blatt und die
Wiener Bilder verantwortlich zeichnet, an die Gesell-
schaft für Graphische Industrie über. Hinter diesem
Unternehmen steht der Unternehmer Richard Kola,
der 1912 in das Verlagsgeschäft eingestiegen ist. Be- reits während des Krieges beginnt er mit der Her-
ausgabe von Zeitungen und Zeitschriften, etwa der
Wochenillustrierten Wiener Illustrierte Zeitung (Ende
1914 bis Ende 1916) oder der Modezeitschriften Die
Herrenwelt (ab 1916) und Die Damenwelt (ab März
1917). Beide werden 1917 eingestellt.28 Nach Kriegs-
ende steuert Kola einen aggressiven Expansions- und
Übernahmekurs. Innerhalb weniger Jahre gelingt es
ihm, durch waghalsige finanzielle Manöver ein um-
fangreiches Medienimperium aufzubauen.29 Er er-
wirbt Buch- und Zeitschriftenverlage, Druckereien
und Papierfabriken. 1920 gründet er den Rikola-Kon-
zern (Radetzkystraße 5, Wien 3), in dem er seine
unternehmerischen Projekte bündelt. Bereits 1919
erwirbt er die Aktienmehrheit des großen, traditions-
reichen, vom Bankhaus Schoeller & Co. kontrollierten
Druckerei- und Verlagsunternehmens Elbemühl und
fusioniert dieses 1923 mit der von Sigmund Rosen-
baum geführten Gesellschaft für Graphische Indust-
rie.30 Für Das interessante Blatt und die Wiener Bilder,
die nun Teil des Rikola-Konzerns sind, hat dieser ra-
sante Konzentrationsprozess vor allem Unsicherheit
zur Folge. Die Geschäfte werden unter den neuen Ei-
gentümern zwar ohne große Brüche weiterbetrieben,
aber notwendige Investitionen werden vertagt.
Bald kommt es erneut zum Eigentümerwechsel.
Richard Kola verliert seine Spekulationsgewinne
während der Inflationszeit ebenso schnell wie er sie
gewonnen hat. 1925 muss er den Konzern verkaufen,
ein Jahr später bricht, bedingt durch einen Banken-
krach, das Unternehmen Rikola endgültig zusammen,
die Einzelunternehmen werden in der Folge ver-
kauft.311927 übernimmt die Kommanditgesellschaft
Fleischer & Co. den Verlagssitz in der Rüdengasse
11 und damit auch Das interessante Blatt, die Wiener
Bilder und die anderen kleineren Zeitschriften des
Verlags, zuerst für einige Monate in Pacht, dann wird
ein Kaufvertrag abgeschlossen.32 Nach und nach sta-
bilisiert sich die ökonomische Situation der beiden
Zeitungen wieder. Um 1930 liegt die Auflage des In-
teressanten Blattes bei 46 000 bis 48 000 gedruckten
Exemplaren, jene der Wiener Bilder bei 32 000 bis
33 000 Exemplaren. Die Verbreitung der beiden Blät-
ter erreicht damit für die Zwischenkriegszeit einen
Höchststand.33
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang