Page - 200 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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200 Bilder als Propaganda · Die illustrierte Regierungspresse nach 1934
stehenden Veränderungen an. Ab kommender Woche,
so wird verlautet, erscheint die Bunte Woche in „ver-
änderter, wesentlich verbesserter Ausstattung (...)
wodurch dem Verlag vor allem Gelegenheit geboten
ist, den Bilderdienst der ‚Bunten Woche‘ zu erweitern
und auf modernste Weise auszubauen.“20 Tatsächlich
werden nun mehr Fotos gedruckt und der Umschlag
wird grafisch modernisiert. Die Zeitung wird nun
durchgehend im Kupfertiefdruck hergestellt. Im In-
nenteil verzichtet das neue Layout jedoch auf jegliche
Experimente.
Die wichtigste Neuerung aber wird nicht explizit
erwähnt, sondern findet sich klein gedruckt im Im-
pressum: Siegfried Weyr wird als Chefredakteur ab- gelöst und durch Walter Angel ersetzt. Über die Grün-
de der Abberufung ist nichts bekannt. Weyr bleibt
aber weiterhin Redakteur der Bunten Woche, die in
den folgenden Monaten einen immer offeneren pro-
pagandistischen Kurs für die Regierung einschlägt.
Offenbar kann die Zeitung aber ökonomisch nicht
recht Fuß fassen, Anfang September 1934 wird sie
ein weiteres Mal umgestaltet. Das Format wird nun
verkleinert, das Layout wird noch konventioneller.
Auffallend ist, dass etliche Fotografen, zu denen Weyr
während seiner Kuckuck-Zeit intensive Kontakte ge-
pflegt hat, jetzt nicht mehr in der Bunten Woche veröf-
fentlichen. Hin und wieder aber bedient sich auch die
neue Chefredaktion aus dem Kuckuck-Archiv, etwa im
November 1934, als sie auf der Titelseite unter dem
Motto „Ernste Jugend“ ein eindrucksvolles Porträt ei-
ner jungen Frau bringt (Abb.
8). Das Foto stammt von
Martin Imboden, der viel für den Kuckuck gearbeitet
hat. Nach der politischen Wende versucht er, seine
Bilder aus dem Archiv zurückzubekommen – verge-
bens. Weyr verweigert die Herausgabe, denn er will
die Fotos weiter für die Bunte Woche nutzen.21 Im-
bodens Aufnahme wird also ohne Zustimmung des
Fotografen veröffentlicht.
Zwei Wochen später, am 25. November 1934, er-
scheint die letzte Ausgabe der Bunten Woche. Gründe
für die Einstellung werden nicht genannt. Offenbar
hält die Auflagenentwicklung den Erwartungen nicht
stand. Weyr wird aber im Vorwärts-Verlag weiterbe-
schäftigt, in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre ar-
beitet er öfter als Autor für das Kleine Blatt.22 Nach
dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Wien ver-
liert Weyr, dem man wie vielen anderen Journalisten
des „Ständestaates“ Kollaboration mit dem „alten“
Regime vorwirft, seine Stellung. Seit dem 30. Mai
1938 ist er ohne Arbeit.23 Im November 1938 ver-
lässt Weyr Wien und flüchtet über die Schweiz nach
London. 1941 geht er in die USA und kehrt 1947 nach
Österreich zurück.
Propagandaillustrierte für das Regime
Die Verlagsgeschichte der Bunten Woche zeigt,
wie sehr das austrofaschistische Regime versucht,
in den ersten Monaten der Diktatur den Anschein
Abb.
8 „Ernste Jugend“. Por-
trät einer
jungen Frau, aufge-
nommen
von Martin
Imboden.
Bunte Woche, 11.
November
1934, Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang