Page - 207 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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Abb.
5 „Das Dorf der 50 Gat-
tenmörderinnen“. Bildbericht in
der Berliner Illustrirten Zeitung,
8.
September 1929,
S.
1606.
Fotos: Martin Munkacsi.
207Auf
dem Weg zur modernen Fotoreportage
auch fertige Fotoreportagen (oft zusammen mit den
Texten) an.16 Ab Anfang 1929 liefern sie solche Re-
portagen auch an österreichische Medien. Im April
1929 erscheint etwa in den Wiener Bildern erstmals
eine einfach gestaltete einseitige Reportage des Ber-
liner Fotografen W. Seldowicz, der für die Fotoagentur
Weltrundschau tätig ist.17 All diese Neuerungen wer-
den nicht nur von den österreichischen Fotografen,
sondern auch von den österreichischen Verlegern auf-
merksam verfolgt. Sie schließen sich, zunächst noch
zögernd, einigen der deutschen Trends an. Während
1928/29 in großen deutschen Zeitungen bereits re-
gelmäßig professionell gestaltete Reportagen erschei-
nen, beginnt die Ära der modernen Fotoreportage in
Österreich etwa zwei Jahre später. Erst 1932 ist eine
erste Blütezeit dieser Bildgeschichten zu verzeichnen.
Auf dem Weg zur modernen Fotoreportage
Lothar Rübelt ist, wie erwähnt, nicht der erste Fo-
tograf, der in Österreich moderne Reportagen veröf-
fentlicht. Bereits 1926 gibt Max Fenichel in einer dop-
pelseitigen Reportage in den Wiener Bildern Einblick
in die Zentralanstalt für Meteorologie in Wien. Im
selben Jahr erscheint ebenfalls in den Wiener Bildern
ein reportageartiger Bildbericht über einen Sonntag
im Wiener Prater. Ende der 1920er Jahre häufen sich
Themenseiten mit Bildern eines einzigen Fotografen,
die aber noch nicht die erzählerische Qualität einer
modernen Reportage haben. Parallel dazu werden
aber auch schon Prototypen moderner Reportagen
gedruckt, die allerdings noch auf Bilder unterschied-
licher Herkunft zurückgreifen.
Der erste Reportage-Auftrag an Lothar Rübelt fällt
also in eine Umbruchszeit im Fotojournalismus. Der
Fotograf hat die Neuerungen in seiner Branche ge-
wiss aufmerksam verfolgt, denn er ist bereits seit
einem Jahrzehnt als Pressefotograf tätig. Ende der
1920er Jahre erweitert er seinen kommerziellen
Radius und knüpft auch Kontakte zur auflagenstar-
ken deutschen Presse. 1928 arbeitet er erstmals mit
der großen Berliner Fotoagentur Scherl Bilderdienst
zusammen und liefert für sie Sportbilder von der
Winterolympiade in St. Moritz. Ab 1930 ist er – ver-
mittelt durch den in Berlin tätigen Fotoagenten Fred Wallentin – auch in der Ullstein-Presse und damit in
Deutschland präsent. Wallentin ist zwei Jahre älter
als Rübelt. Er stammt, wie dieser, aus Wien und lebt
in den 1920er und frühen 1930er Jahren in Berlin.
Hier betätigt er sich als eine Art kultureller „Multi-
funktionär“. Er bezeichnet sich selbst als „Schauspie-
ler, Disponent, Journalist und Bildcorrespondent“18.
Als Wallentin sich 1933 in Paris niederlässt, endet
die Geschäftsbeziehung mit Rübelt.19 Die Machtüber-
nahme der Nationalsozialisten in Deutschland be-
deutet keinerlei Bruch für Rübelts Präsenz auf dem
deutschen Zeitungsmarkt, im Gegenteil. Ende 1934
stellt er einen Antrag auf Aufnahme in den „Reichs-
ausschuss der Bildberichterstatter im Reichsverband
der Deutschen Presse“.20
Doch zurück zur ersten großen Reportage Rübelts
in der österreichischen Bildpresse. Der Anlass ist ein
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang