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239Ein
neuer Fotomarkt entsteht
folgt die Zusammenarbeit mit einem vor Ort tätigen
Fotografen oder einer einheimischen Agentur. Diese
haben in der Regel eine doppelte Aufgabe zu erfül-
len: Sie übernehmen die regionale Vermarktung und
zugleich speisen sie eigene aktuelle Nachrichtenbil-
der in das große Firmennetzwerk ein. Um nur einige
Beispiele zu nennen: Wide World Photos arbeitet mit
Albert Hilscher und Leo Ernst zusammen, Karl
Schleich übernimmt die Repräsentanz der deutschen
Sportbildagentur Max Schirner, Robert Schostal ver-
tritt die Fotoagentur Keystone in Österreich und auch
Pacific & Atlantic haben in Wien einen Repräsentanten.
In den späten 1920er Jahren herrscht unter den
Anbietern von Pressebildern eine Art Goldgräberstim-
mung. Jahr für Jahr steigt die Zahl der gedruckten Bil-
der. Inzwischen greifen praktisch alle Zeitungen auf
Agenturbilder zurück. Direkte kommerzielle Kontakte
zu den Fotografen sind nun die Ausnahme. In dieser
überhitzten Stimmung, in der der Verkauf von aktuel-
len Nachrichtenbildern schnelle Gewinne verspricht,
stürzen sich zahlreiche einheimische Neuunterneh-
mer ins Geschäft und eröffnen eine Fotoagentur.
Die Liste der in der Zwischenkriegszeit agierenden
Fotoagenturen ist beeindruckend. Sie heißen etwa
Pisafot, Telephot, Kilophot, Kleinberg, Schleich-Hil-
scher, Ernst-Hilscher, Omniphot, Radiophot, R. K. O.,
Postiag, Austrophot, Dietrich & Co., Wiener Photo-Ku-
rier, Schostal, Polyphot, Welt-Preß-Photo, Prisma Press,
Photo-Zentrale, Internationale Presseagentur (Ipa),
Europa-Presse-Co, Austria-Presse, Presse-Bild-Zentra-
le, Alpiner Pressedienst, Sammlung Raoul Korty, Bild-
archiv Taussig, Illustrations-Zentrale, Österreichischer
Photodienst, International-Photo-Service.
Nur einige wenige dieser Agenturen existieren
schon seit Längerem.26 Die anderen sind Neugrün-
dungen, viele werden in den Jahren um 1930 eröffnet.
Das Spektrum ihrer Tätigkeiten und Schwerpunkte
ist breit gefächert. Einige der Agenturen, etwa der
Fotosammler Raoul Korty oder das Bildarchiv Taus-
sig, vermarkten ausschließlich historische bzw. nicht
aktuelle Aufnahmen.27 Die 1919 gegründete Österrei-
chische Lichtbildstelle fungiert seit Ende der 1920er
Jahre als eine Art staatliche Fotoagentur. Sie hat die
Aufgabe, topografische Ansichten und Landschaftsbil-
der (später auch aktuelle Aufnahmen) an die Presse zu liefern und ein patriotisches Österreichbild auf-
zubauen.28
Das Bild eines breiten Feldes prosperierender
Fotohändler täuscht freilich. Neben wenigen grö-
ßeren professionell agierenden Agenturen gibt es
zahlreiche Klein- und Kleinstunternehmen, die ge-
schäftlich meist nur mäßigen Erfolg haben.29 Hinter
manch klingendem Agenturnamen verbirgt sich nur
eine einzige Person, die das Geschäft oft noch dazu
im Nebenberuf (neben der eigenen Pressefotogra-
fie) betreibt. In anderen Fällen schließen sich allein
arbeitende Pressefotografen zu – häufig wechseln-
den – Vertriebskooperationen zusammen. Die Bilder
verkaufen sie meist unter dem gemeinsamen Namen,
etwa Schleich-Hilscher, Ernst-Cesˇanek (Abb.
3) oder
Ernst-Hilscher.
Aber es gibt, wie das Beispiel Lothar Rübelt zeigt,
durchaus auch erfolgreiche Kleinagenturen. Seit Mit-
te der 1920er Jahre vertreibt er, zunächst zusammen
mit seinem Bruder Ekkehard (der 1926 tödlich verun-
glückt), seine Bilder in Eigenregie. Die Agenturräume Abb.
3 Prozess gegen
Philipp Halsmann, der wegen
Vatermordes
angeklagt ist.
Anlässlich der Wiederaufnahme
des Verfahrens wird ein Foto
vom Lokalaugenschein im
Tiroler Zillertal veröffentlicht.
Das interessante Blatt, 19.
Sep-
tember 1929, Titelseite. Foto:
Ernst-Cesˇanek.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang