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240 Handel mit Bildern · Die Rolle der Fotoagenturen
sind in seiner Wohnung, in der Wollzeile 14, Wien 1,
untergebracht.30 Später sucht sich Rübelt, vor allem
für die Vermarktung in Deutschland, auch Partner.
Ende der 1920er Jahre arbeitet er zeitweise im Auf-
trag der großen deutschen Fotoagentur Scherl31, um
1930 tritt er in Geschäftsverbindung mit dem in Ber-
lin tätigen Fotoagenten Fred Wallentin, der Rübelts
Aufnahmen u. a. an Ullstein vermittelt.32
Willinger, Schostal, Polyphot: die führenden Wie-
ner Fotoagenturen
der Zwischenkriegszeit
Der Pressebildmarkt ist in der Zwischenkriegs-
zeit heiß umkämpft. Die Konkurrenz, vor allem der
ausländischen Anbieter, ist groß. Nur einige wenige
österreichische Anbieter erreichen eine Größe, die es
ihnen erlaubt, auf diesem Markt erfolgreich mitzu-
mischen. Neben dem Marktführer Willinger (Abb.
4)
ist dies vor allem die von Robert Schostal gegründete
Fotoagentur Wiener Photo-Kurier (später unter dem
Namen „Schostal“ geführt) und die Agentur Polyphot.
Über Letztere ist bis heute wenig bekannt. Gesichert
ist lediglich, dass sie um 1925 gegründet wird. An-
fang der 1930er Jahre hat sie ihren Sitz in der Mühl-
gasse 13, im 4. Wiener Gemeindebezirk. Bereits vor
1930, wenige Jahre nach ihrer Gründung, gehört die
Polyphot zu den führenden Wiener Agenturen. Sie
beliefert nun alle wichtigen österreichischen Zeitun-
gen und Magazine. 1927 eröffnet das Unternehmen
sogar eine Außenstelle in Berlin, die aber offenbar
nur kurzzeitig Bestand hat.33 Um 1930 gehört Poly-
phot zu den wichtigsten österreichischen Agenturen.
Allerdings existiert der Betrieb nicht sehr lange. Nach
1934 verlieren sich seine Spuren.
Ähnlich wie Willinger bietet Polyphot von Anfang
an Fotos zu einem breiten Themenspektrum zur Ver-
öffentlichung an. Neben aktuellen Nachrichtenbildern
hat die Agentur auch Theater- und Modeaufnahmen,
aber auch nicht aktuelle Genrebilder (Landschaften,
Straßenszenen, Menschen etc.) im Programm. Diese
Genreaufnahmen sind der heutigen „Stock Photogra-
phy“ vergleichbar. Sie haben den Vorteil, langsamer
zu altern als die Aufnahmen aktueller Ereignisse.
Daher können sie ohne zeitlichen Druck veröffent-
licht werden. Eingesetzt werden solche Bilder etwa zur Illustration gesellschaftlicher Themen (Kindheit,
Alter, Freizeit etc.), aber auch als atmosphärische
Bestandteile von Fotoreportagen, die aus Bildmate-
rial unterschiedlichster Herkunft zusammengestellt
werden. Um 1930 zeigt sich die Agentur offen für die
neuen Strömungen der Fotografie. Angeboten wird
nicht nur fotografisches Mittelmaß, sondern auch
Bilder, die von den Strömungen des Neuen Sehens
und der Neuen Sachlichkeit beeinflusst sind.
Der Großteil der Fotos, die Polyphot vermarktet,
stammt aus Österreich. Aber die Agentur bietet auch
Bilder aus dem Ausland, v. a. aus Amerika, zum Ver-
kauf an.34 Die Agentur dürfte zu diesem Zweck mit
einer oder mehreren ausländischen Vertriebsfirmen
kooperiert haben. Anders als etwa Willinger, der fast
ausschließlich die bürgerliche Presse beliefert, bringt
Polyphot seine Aufnahmen auch in der sozialdemo-
kratischen Bildpresse unter. Im Kuckuck erscheinen
beispielsweise zahlreiche Fotos dieser Agentur.
Über die fotografischen Mitarbeiter des Unterneh-
mens wissen wir fast nichts. In der Regel werden die
Fotografen der Agentur Polyphot in den Fotocredits
nicht genannt. Bekannt ist lediglich, dass Karl Schöpl,
ein 1896 in Budapest geborener Fotograf, für die
Agentur tätig ist. Er führt ein Atelier im 5. Wiener
Gemeindebezirk und arbeitet Anfang der 1930er Jah-
re auch für Polyphot. Seinen Namen kennen wir des-
halb, weil ausnahmsweise eine seiner Fotoarbeiten
namentlich gekennzeichnet ist. Von ihm stammt die
Reportage über die oberösterreichische Heilanstalt
Gallspach, die im Mai 1930 im Wiener Magazin er-
scheint. Sie ist mit „Polyphot-Schöpl“ gezeichnet.35
Die Informationslage zur Agentur Wiener Pho-
to-Kurier (Schostal) ist deutlich besser.36 Auch die-
ses Unternehmen wird Mitte der 1920er Jahre, in der
Aufbruchphase der österreichischen Pressefotografie,
gegründet. Robert Schostal, geb. 1906, der hinter der
Agentur steht, kommt über die Kunst- und Fotogra-
fenhandlung seiner Tante Jenni (Regine) Matters-
dorf zum Bilderverkauf.37 Diese ist selbst Fotografin
und führt in der Nähe der Wiener Hofburg, in der
Schauflergasse 2, das „Magasin Metropole“, eine
kleine Kunst- und Fotohandlung, in der sie u. a. auch
Fotos und Postkarten von Schauspielern und Sän-
gern anbietet. Nebenbei verkauft sie ihre Bilder an
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang