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246 Handel mit Bildern · Die Rolle der Fotoagenturen
keinerlei Vorbehalte dem nationalsozialistischen Re-
gime gegenüber haben. Schostal verkauft jetzt etwa
Bildmaterial der Frankfurter Presse- und Werbefoto-
grafin Elisabeth Hase, des Berliner Ateliers Becker &
Maaß aber auch der aus Bayern stammenden Erika
Schmachtenberger, die sich auf Land und Leute sowie
bäuerliche Motive aus ganz Europa spezialisiert.51
Aber auch Aufnahmen von Fotografen außerhalb
des deutschen Sprachraums werden nun vertrieben,
etwa Bilder des schwedischen Pressefotografen Gun-
nar Lundh oder Aufnahmen des spanischen Ateliers
Compal (Valencia). Schließlich geht die Agentur auch
neue Kooperationen ein. Ab Mitte 1938 arbeitet sie
mit der führenden deutschen Presseagentur Atlantic
zusammen, die dem NS-Regime nahesteht.52
Nach der Zwangsenteignung werden vermehrt
österreichische Fotografen unter Vertrag genommen.
Es sind durchweg parteitreue Personen, die sich den
neuen politischen Verhältnissen willig anpassen. Die
angebotenen Sujets im Bereich der Genrefotografie
sind inzwischen deutlich konservativer, häufig wer-
den ländliche und bäuerliche Motive (etwa Bauern bei
der Arbeit, Trachten etc.) und vermehrt auch pathe-
tische Landschaftsstudien veröffentlicht. Solche Bil-
der liefert zum Beispiel die Tiroler Amateurfotografin
Midi Suppenmoser an Schostal. Aber auch Heinz von
Perckhammer, der in den frühen 1930er Jahren noch durchaus Einflüsse der Moderne aufgenommen hatte,
passt sich diesem ästhetischen Programm an und fo-
tografiert ab 1938 regelmäßig urige Bauern, Bäuerin-
nen in Tracht und beschauliche Genreszenen. Weite-
re österreichische Fotografen im Dienst von Schostal
sind Luis Sedlar, Gustav Hajek (der vor allem als
Sportfotograf tätig ist) und Otto Tomann. Letzterer ist
seit 1937 Geschäftsführer des Ateliers Dietrich & Co.
liefert an Schostal vor allem Theaterfotos und Por-
träts, aber auch ländliche Genreaufnahmen. Er ist
ein strammer Nationalsozialist, der im Krieg neben
Theater- und Modeszenen propagandistische Bilder
deutscher Soldaten veröffentlicht und nach 1945 als
Porträt- und Modefotograf tätig ist.
Robert Schostal hatte keine klassischen Pressefo-
tografen für den Bereich aktuelle Nachrichtenbilder
engagiert. Das ändert sich nun. Die neue Agentur ar-
beitet mit Fotografen zusammen, die aktuelle Ereig-
nisse dokumentieren. Zu ihnen gehören u. a. die Wie-
ner Pressefotografen (im Nationalsozialismus heißen
diese „Bildberichter“) Wilhelm Sturm und v. a. Anton
Doliwa, geb. 1905. Letzterer ist ein eingefleischter
Nationalsozialist. Doliwa deckt alle Bereiche der ak-
tuellen Pressefotografie ab, er liefert Aufnahmen poli-
tischer Ereignisse ebenso wie Sportbilder. An seinem
Beispiel wird die rasante personelle Umschichtung
der Pressefotografie im Nationalsozialismus deutlich.
Während die jüdischen Kollegen verfolgt und ver-
drängt werden, treten parteitreue Lichtbildner an ihre
Stelle. Ab Frühjahr 1938 ist Doliwa einer der wich-
tigsten österreichischen Pressefotografen (Abb.
7).
Ebenfalls ab Frühjahr 1938 nimmt der Anteil der
deutschen Agenturen in der Wiener Presse rapide zu.
Den Markt teilen sich nun die führenden Unterneh-
men Weltbild, Scherl und Hoffmann. Alle drei Agen-
turen stehen dem NS-Regime sehr nahe. Weltbild ist
die Nachfolgeorganisation der 1935 vom Deutschen
Nachrichtenbüro, der zentralen Presseagentur des
NS-Staates, übernommenen Fotoagentur Keystone
View.53 Der Scherl Verlag mit der angeschlossenen
Fotoagentur Scherl Bilderdienst steht seit 1933 un-
ter nationalsozialistischer Kontrolle. Die Bildagentur
Heinrich Hoffmanns schließlich ist Ende der 1930er
Jahre der größte und wichtigste nationalsozialistische
Bildlieferant.54 Eine Reihe österreichischer Pressefo-
Abb.
7 Sonnwendfeiern in der
„Ostmark“, fotografiert im Juni
1938 von Anton
Doliwa, einem
strammen Nationalsozialisten,
der ab 1938 für das
„arisierte“
Unternehmen
Schostal arbeitet.
Der jüdische Agenturbesitzer,
Robert
Schostal, flüchtet über
Frankreich in die USA. Das
interessante Blatt,
23.
Juni
1938,
Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang