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254 Politische Bilder · Die Kultur der Arbeiterfotografie
einer Ausstellung der Ottakringer Arbeiterfotografen
heißt es im Februar 1931 im Kuckuck: „Noch fehlt den
Wiener Arbeiterphotographen der Sinn für das poli-
tische Lichtbild. Damit ist nicht die bildliche Bericht-
erstattung über eine Feier, eine Demonstration, eine
Persönlichkeit gemeint, sondern die Erfassung einer
Idee in einem Bildausschnitt. Wie unerhört kann Mi-
litarismus, Ausbeutertum, Hungerlohn, Rationalisie-
rung, Arbeitslosigkeit, Klassengegensatz usw. gerade
durch eine Photographie ausgedrückt werden. (…) Ab-
gesehen davon, daß die Kamera in der Hand des be-
wußten Arbeiterphotographen dazu beitragen kann,
das Bild von der Welt, das die illustrierte Zeitung gibt,
immer wahrer zu machen, denn es läßt sich denken,
daß die vielen Photoagenturen, die das Bildmaterial
für die illustrierten Blätter liefern, durch die Bank
reaktionär sind, und auffällig, aber zielbewußt alles
umgehen, was dem Bürgertum zutiefst verhaßt ist.“19
Die Bilder aus dem Umfeld der Arbeiterfotografie-
bewegung eignen sich nur bedingt, die soziale Reali-
tät des Landes darzustellen. Aktuelle Aufnahmen von
politischen Veranstaltungen, Arbeitskämpfen oder so-
zialen Missständen stammen daher in der Regel von
Pressefotografen, durchaus auch solchen mit bürger-
lichen Sympathien, etwa von Lothar Rübelt. Dieser
veröffentlicht immer wieder im Kuckuck (Abb.
7). Arbeiterfotografen
bei den
Naturfreunden
Eine der traditionsreichsten und politisch aktivs-
ten Fotogruppen, deren Vertreter regelmäßig auf den
Seiten des Kuckuck präsent sind, ist die „Photosekti-
on“ der Naturfreunde Meidling. Sie hat ihr Vereinslo-
kal ab 1925 im Fuchsenfeldhof, einem großen Wie-
ner Gemeindebau im 12. Bezirk, einer traditionellen
Arbeitergegend.20 Die Fotogruppe der Naturfreunde
geht auf das Jahr 1905 zurück, 1908 wird sie als „Pho-
tosektion“ eingerichtet. Noch vor dem Ersten Welt-
krieg entwickeln die Meidlinger Arbeiterfotografen
ein reges Vereinsleben, das ab Anfang der 1920er Jah-
re wieder aufgenommen wird.21 Ab 1922 veranstaltet
die Sektion jährlich eine Fotoausstellung. Ähnlich wie
andere Naturfreunde-Photosektionen, etwa jene in
Ottakring22, Floridsdorf, Simmering oder Favoriten23,
organisieren die Meidlinger Fotografen regelmäßig
Vorträge, Fotoausflüge und Ausstellungen. Und einige
von ihnen bieten ihre Bilder der Presse an. Um 1930
verzeichnet die Gruppe ihren größten Zulauf mit
180 Mitgliedern, wovon lediglich elf Frauen sind.24
In der Meidlinger Photosektion setzt sich, im Ver-
gleich zu anderen Arbeiterfotogruppen, die moder-
ne, neusachliche Richtung Anfang der 1930er Jahre
am konsequentesten durch.25 Zu ihren Vertretern
Abb.
6 „Der Gang der
Arbeit“. Wiener Magazin, Nr. 9,
September 1929, S.
28. Foto:
Ferdinand
Hodek.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang