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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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266 Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls ist eine Montage, die sich über die Realität deutlich hinwegsetzt. Entscheidend ist aber nicht, ob es diesen Arzt und seine erotischen Wiener Träume wirklich gibt (natürlich gibt es ihn nicht), sondern dass die Szene eine in Österreich real existierende Amerika- fantasie aufgreift, adaptiert und zuspitzt. Anfang der 1930er Jahre, als in Österreich die Wirtschaftskrise auf ihrem Höhepunkt angelangt und die Arbeitslosigkeit extrem hoch ist, wird, nicht ganz zufällig, der berufliche Erfolg mit dem Arzt as- soziiert und in die amerikanische Ferne verlegt. Der erfolgreiche amerikanische Mann nimmt sich, was er will. Schon in seiner Studienzeit, so die Botschaft, sind ihm die österreichischen Frauen zu Füßen gelegen. „Der Amerikaner“ tritt hier in der Rolle des begehr- ten Sunny-Boy auf. Die Amerikafaszination begegnet in diesem Fall also im Gewand des erotisch-sexuel- len Begehrens. Und dieses ist in dieser Bilderzählung wechselseitig verschränkt. Nicht nur der amerika- nische Arzt schweift in Gedanken zurück zum alten Kontinent, zu seinen verflossenen Wiener Geliebten. Auch die Frauen, die hier stellvertretend für Öster- reich stehen, blicken sehnsüchtig in die Ferne, nach Amerika – und sie wissen zugleich, dass ihr sinnliches Werben auf Dauer umsonst sein wird. Aus österrei- chischer Sicht thematisiert das Bild damit auch ein kollektives Minderwertigkeitsgefühl, das das Verhält- nis zum großen Land der unbegrenzten Möglichkeiten prägt. Die anzügliche Bilderzählung in der Zeitschrift Die Muskete spült untergründige kollektive Fantasien an die Oberfläche. Sie bildet freilich nur eine Facette im vielschichtigen Mosaik der österreichischen Amerika- begeisterung der Zwischenkriegszeit. Es lohnt sich, diese Projektionen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, denn sie haben sich als haltbar erwiesen: Den amerikanischen Traum gibt es, in aktualisier- ter und veränderter Form, bis heute. Und auch heute geht mit dem Traumbild das Schattenbild des Anti- amerikanismus einher. Faszination  Hollywood Bis zum Ersten Weltkrieg ist Amerika aus öster- reichischer Sicht weit entfernt. Man hat zwar von den ersten spektakulären Hochhausbauten in New York gehört, aber wenige haben diese mit eigenen Augen gesehen. Amerika ist das unbekannte Wunderland, ein begehrtes Auswanderungsziel, in das um die Jahr- hundertwende Hunderttausende verarmte Menschen v. a. aus dem Osten der Monarchie gereist waren, um ein besseres Leben aufzubauen. Nach dem Krieg ändert sich die Situation sehr schnell. Amerika, vor Kurzem noch übermächtiger Kriegsgegner, ist den Österreichern mit einem Schlag ganz nahe gerückt: 1919 beginnt die amerikanische Kinderhilfsaktion ihre Arbeit in Österreich. Sie bietet über 200 000 vor allem Wiener Kindern kostenlose Ausspeisungen an. 1922 eröffnet sie die Kinderheilanstalt am Tivoli in Wien-Meidling.4 Bald danach aber ziehen sich die amerikanischen Spender wieder zurück. Das öffent- liche Sozialfürsorgenetz funktioniert inzwischen wieder einigermaßen, der junge Staat ist dabei, sich wirtschaftlich zu erholen. Mitte der 1920er Jahre ist das Bild Amerikas als großzügiger Spender schon wieder verblasst. Nun ist man an ganz anderen Dingen interessiert, an ameri- kanischen Shows, an Musik und vor allem an Filmen. Besonders beliebt sind die großen Hollywoodproduk- tionen, die in diesen Jahren unaufhaltsam Einzug in die Wiener Kinos halten. Die Marken Paramount, Fox oder Metro-Goldwyn-Mayer garantierten hand- werklich perfekt gemachte, flotte Unterhaltung. Die amerikanischen Filme bringen aber nicht nur ihre Stoffe und Themen nach Österreich, sondern sind zugleich Vehikel für den Import eines umfassenden amerikanischen Lebensgefühls. Nach und nach ent- stehen – vor allem in Wien – Großkinos nach ameri- kanischem Vorbild. Im Herbst 1929 wird nach umfangreichen, sieben Monate dauernden Umbau- und Modernisierungs- arbeiten im ehemaligen Wiener Apollo-Theater in der Gumpendorfer-Straße das Apollo-Kino eröffnet (Abb.    5). Ziel des Umbaus nach Plänen von Carl Witzmann ist es, neueste amerikanische Filme vor großem Publikum zeigen zu können. An die Stelle des traditionellen Varietéetablissements tritt daher ein Großkino, das Platz für 1500 Besucher bietet. Wie sehr das neue Apollo-Kino an einem Schnittpunkt moderner Filmkultur steht, zeigt sich daran, dass
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Subtitle
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Author
Anton Holzer
Publisher
Primus Verlag
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Size
23.0 x 29.0 cm
Pages
498
Keywords
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Category
Medien

Table of contents

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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