Page - 290 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945

290 Experiment und Bewegung · Tanzschritte in eine neue Zeit Begleitet wird diese Erneuerungsbewegung des Tanzes nach 1918 von einem beispiellosen Gang in die Öffentlichkeit. Während vor dem Ersten Weltkrieg dynamische Tanzszenen nur gelegentlich fotografisch festgehalten werden, ändert sich das nach dem Krieg schlagartig. An die Stelle der statischen Porträtstudien treten nun ausdrucksstarke Fotoinszenierungen. Die jungen Stars der neuen Tanzbewegung suchen aktiv die fotografische Öffentlichkeit. Mittels der Fo- tografie, so ihre berechtigte Hoffnung, können ihre flüchtigen Bewegungen festgehalten werden. Aber auch die Fotografen entdecken den Tanz als neues, attraktives Sujet. In den Bewegungsstudien wird das klassische Schauspielerporträt, das vor dem Krieg in festgefahrenen Posen und Inszenierungen erstarrt war, aufgebrochen. Die Fotografie erweist sich zudem als überaus brauchbar, die Erneuerung des Tanzes publizistisch zu begleiten. Ruhm fällt für beide Sei- ten ab: für die Tänzerin, die ihre Bekanntheit stei- gern kann, und für die Fotografin, den Fotografen, die mit aufsehenerregenden Bewegungsstudien ihren künstlerischen Abstand zum Gros der traditionellen Berufsfotografen unter Beweis stellen können. Bereits 1918 entstehen die ersten Tanzaufnahmen, die ihren Weg auch in die auflagenstarke illustrierte Presse finden. Zu den Pionieren der österreichischen Abb.  6  Die  aus  Lettland  stammende  Tänzerin  Mila  Cirul  im  Tanzstück  „Tango“,  1925.  Sie  gehört  zu  den  bekanntesten  Ausdruckstänzerinnen  im  Wien  der  1920er  Jahre  und  lässt  sich  regelmäßig  von  Trude  Fleisch- mann  und  Grete  Kolliner  foto- grafieren.  Der  Kostümentwurf  stammt  vom  Künstler  Georg  Kirsta.  Wiener Mode,  Heft  18,  1925,  S.  3.  Foto:  Grete  Kolliner.