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340 Frauen hinter der Kamera · Die neuen Fotografinnen
Bemerkenswert ist diese Fotoausstellung, weil in
ihr ausschließlich die Arbeiten von Fotografinnen
gezeigt werden. Auch die Porträtierten sind ohne
Ausnahme Frauen. Die Präsentation zeigt das Bemü-
hen der „neuen Fotografinnen“, sich selbstbewusst
in der Welt der Männer zu behaupten. Zu sehen sind
Fotoporträts österreichischer Pionierinnen aus allen
Berufsfeldern und Beispiele ihrer wissenschaftli-
chen Publikationen. Neben den Vorkämpferinnen für
Frauenrechte Marianne Hainisch und Rosa Mayreder
sind erfolgreiche Frauen aus den unterschiedlichs-
ten Bereichen vertreten: von Geisteswissenschaft-
lerinnen, Künstlerinnen, Ärztinnen, Naturwissen-
schaftlerinnen, Schriftstellerinnen, Journalistinnen,
Juristinnen und Politikerinnen bis hin zu Schauspie-
lerinnen, Tänzerinnen, Musikerinnen, Kritikerinnen
und Sportlerinnen.16
Die Fotokuratorin der Ausstellung, Grete Kolliner,
gehört – neben Pepa Feldscharek (Abb.
10), Trude Gei-
ringer, Dora Horovitz, Lotte Meitner, Edith Glogau
und Trude Fleischmann, die alle mit Fotoarbeiten
in der Schau vertreten sind – zu den bekanntesten
österreichischen Atelierfotografinnen der Zwischen-
kriegszeit. Als sie 1917 in Wien ein Atelier eröffnet, ist Kolliner 24 Jahre alt. In den 1920er Jahren gründet
sie ein weiteres Studio in Rom. Sie spezialisiert sich
neben dem Porträt auf Theater-, Tanz- und Aktfoto-
grafie. Kolliner ist eine weltoffene, engagierte Frau
und hat Kontakt zur Pädagogin und Frauenrechtlerin
Eugenie Schwarzwald17 sowie zur österreichischen
Werkbundbewegung. Zusammen mit anderen Licht-
bildnern ist sie als Repräsentantin der modernen
Fotografie auf der wichtigen Ausstellung des Werk-
bundes „Film und Foto“, vertreten, die 1930 in Wien
gezeigt wird.18
Im Zentrum der Schau „Die schaffende Österrei-
cherin“ ist eine Fotoarbeit von Trude Fleischmann
zu sehen: eine eindrucksvolle Studie der Wiener Pä-
dagogin und Frauenrechtlerin Marianne Hainisch.
Das Porträt, das auch in der illustrierten Presse
veröffentlicht wird (Abb.
11), zeigt die fotografische
Handschrift Trude Fleischmanns deutlich. Man könn-
te ihren fotografischen Stil als gemäßigt modern be-
zeichnen. Die Fotografin setzt sich, ebenso wie viele
ihrer Kolleginnen, ab Anfang der 1920er Jahre von
der idealisierenden, weichzeichnenden Tradition
der Kunstfotografie, dem Piktorialismus, ab, die in
der Zwischenkriegszeit bei einigen künstlerisch
ambitionierten Porträtfotografen Wiens teilweise
noch verbreitet ist. Sie rückt mit ihrer Kamera nahe
an das Modell heran. Immer wieder wählt sie enge
Ausschnitte (oft beschneidet sie die Bilder auch), um
Charakter und Körperhaltung einer Persönlichkeit
noch stärker zu betonen. Als Hintergrund wählt sie
neutrale schwarze oder weiße Flächen; ihr geht es
darum, das Wesentliche, die Züge des Gesichts, die
visuelle Präsenz der Porträtierten, herauszuarbeiten.
Ihre Bilder sind aufmerksame Körperstudien und zu-
gleich psychologische Momentaufnahmen.
Die Organisatorinnen der Ausstellung zeichnen
Anfang der 1930er Jahre noch ein optimistisches
Zukunftsszenario. Aber schon wenige Jahre später,
im austrofaschistischen „Ständestaat“, ist die politi-
sche Situation eine ganz andere. Die Diktatur macht
demokratisches politisches Engagement unmöglich.
Ein konservativer Schub erfasst die österreichische
Gesellschaft. Die urbane, moderne Ästhetik, die um
1930 eine kurze Blüte erlebt hat, wird immer stärker
durch patriotische, oft heimattümelnde Sujets ersetzt.
Abb.
11 Die Pädagogin
und
Frauenrechtlerin Marianne
Hainisch.
Die Bühne, Zweites
Augustheft 1931, S.
44. Foto:
Trude Fleischmann.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang