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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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343Verfolgung, Vertreibung Bauhauskünstlerin, die im Textil- und Modebereich arbeitet, ein gemeinsames künstlerisches Atelier un- ter dem Namen „Model en Foto Austria“ auf.22 Eine ihrer ersten Aufnahmen, die sie von Amsterdam aus verkaufen kann, ist die Autoreportage im Sonntag. Das moderne Automobil, das kraftvoll die Titel- seite dominiert, steht für Unabhängigkeit, Individu- alismus und Beweglichkeit. Ende Februar 1938, als dieser Beitrag veröffentlicht wird, ist dieses optimis- tische, zukunftsfrohe Bild eigentlich schon Vergan- genheit. Im März 1938 marschieren deutsche Trup- pen in Wien ein. Die nationalsozialistische Diktatur erfasst nun auch Österreich. Marie Oestreicher wird kein Bild mehr in ihrer alten Heimat veröffentlichen. Während des Krieges schließt sie sich der niederlän- dischen Widerstandsbewegung an. Das Jahr 1938 bedeutet für die jüdischen Fotogra- finnen in Österreich das jähe Ende ihrer Karriere. So schnell ihre Laufbahn nach 1918 begonnen hat, so abrupt endet sie zwei Jahrzehnte später. Im Frühjahr 1938 setzt die systematische Verfolgung ein. Was nun auf die Fotografinnen zukommt, ist nur bruchstück- haft überliefert. In den Dokumenten der Behörden schlagen sich die antisemitischen und rassistischen Raubzüge, Enteignungen, Verfolgungen, Einschüchte- rungen und schließlich der Weg ins Exil (oder in die Konzentrations- und Vernichtungslager) in trockenem bürokratischem Tonfall nieder: „abgemeldet am …“, heißt es da, oder: „Gewerbe zurückgelegt am …“ Die Ateliers jüdischer Fotografinnen und Fotografen wer- den entweder unter Zwang enteignet („arisiert“) oder geschlossen, Bildbestände gehen verloren, werden ge- raubt oder können – in seltenen Fällen – teilweise ins Ausland gerettet werden. Dramatische Lebensgeschichten österreichischer Fotografinnen schrumpfen nun auf wenige Stichwor- te zusammen: Trude Fleischmann gelingt Ende Sep- tember 1938 die Flucht nach London und später nach New York, Dora Kallmus überlebt den Krieg versteckt in Frankreich, Marie Oestreicher lebt während des Krieges illegal in Amsterdam, Helene Kiss und Dora Horovitz gelingt die Flucht ins kalifornische San José, Marianne Bergler, Pepa Feldscharek, Trude Geiringer und Edith Glogau flüchten 1938 nach New York, Lotte Meitner und Hella Katz und Hedda Medina fliehen 1938 bzw. 1939 nach London, Lena Schur 1938 nach Paris und später nach Gran Canaria, Steffi Brandl geht nach 1933 von Berlin aus nach New York, Josefi- ne Bárány flieht nach Schweden. Andere jüdische Fotografinnen verlassen Öster- reich bereits früher. Camilla Henriette Koffler eröffnet 1933 in Paris unter dem Namen „Ylla“ ein erfolgrei- ches Atelier für Tierporträts. Edith Suschitzky geht 1934 nach England, Margarethe Gross (verh. Michae- lis) flieht 1933 über Spanien, Frankreich und England nach Australien, Grete Weissenstein geht 1939 eben- falls nach Australien. Nicht alle jüdischen Fotogra- finnen gelingt die Flucht. Martha Fein beispielsweise wird Ende Dezember 1941 in das Getto Lodz depor- tiert, wo sich ihre Spur verliert. Andere erreichen ihr sicheres Zielland nicht. Edith Barakovich etwa, die mit ihrem Mann über Frankreich und Spanien nach Casablanca geflüchtet war, begeht angesichts der aus- weglosen Situation im Dezember 1940 Selbstmord.23 Nur wenige Fotografinnen jüdischer Herkunft überleben die NS-Zeit in Österreich. Irene Messner konvertiert in der Zwischenkriegszeit zum Katholi- zismus und wird durch ihre Ehe mit ihrem „arischen“ Ehemann Franz Messner vor der Deportation be- wahrt. Dieser stirbt wenige Tage nach Kriegsende.24 Annie Schulz entgeht der Deportation vermutlich des- halb, weil sie (seit 1923) mit Hermann Ignaz Schulz verheiratet ist, der nicht jüdischer Herkunft ist. Sie stirbt am 21. November 1943 in Wien. Das fotografische Erbe dieser jüdischen Fotogra- finnen (aber auch der Fotografen) gerät nach ihrer Verfolgung und Vertreibung in Vergessenheit. Das offizielle Österreich kümmert sich nach 1945 nicht um die Rückkehr der Vertriebenen. Erst in den 1980er Jahren tauchen die Arbeiten einiger weniger Fotografinnen, etwa von Trude Fleischmann, allmäh- lich wieder im Kunsthandel auf. Die Fotografin wird in Ausstellungen als Einzelkünstlerin „wiederent- deckt“.25 Das reiche kulturelle Umfeld aber, in dem Fleischmann in der Zwischenkriegszeit gelebt und gearbeitet hat, wird vorerst nicht rekonstruiert. Erst in den letzten Jahren gibt es vermehrt Bestrebungen, die jüdische Fotokultur der Zwischenkriegszeit ge- nauer zu erforschen und die erhaltenen Bilder einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.26
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Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Subtitle
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Author
Anton Holzer
Publisher
Primus Verlag
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-86312-073-3
Size
23.0 x 29.0 cm
Pages
498
Keywords
Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
Category
Medien

Table of contents

  1. Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
  2. Neue illustrierte Welt Einleitung 10
  3. Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
  4. Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
  5. Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
  6. Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
  7. Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
  8. Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
  9. Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
  10. Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
  11. Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
  12. Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
  13. Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
  14. Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
  15. Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
  16. Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
  17. Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
  18. Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
  19. Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
  20. Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
  21. Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
  22. Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
  23. Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
  24. Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
  25. Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
  26. Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
  27. Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
  28. Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
  29. Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
  30. Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
  31. Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
  32. Anhang
    1. Anmerkungen 446
    2. Fotografinnen und Fotografen 1890 bis 1945 Biografische Notizen 466
    3. Literatur 483
    4. Zeitungen und Zeitschriften 490
    5. Index 491
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