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365Kritiker
der Avantgarde
Österreich“. Beworben wird nicht etwa Wien, sondern
ausschließlich das ländliche Österreich, insbesondere
das Hochgebirge der Alpen, sowie bekannte Kulturin-
stitutionen: beispielsweise die Salzburger Festspiele.
Das Erstarken einer neuen österreichischen Hei-
matideologie steht um 1930 in engem Zusammen-
hang mit der innenpolitischen Auseinandersetzung.
Sie dient als Gegenentwurf zu der als „städtisch“ ge-
österreichischen Bundeshymne entnommen, die Ende
der 1920er Jahre eingeführt wurde. Sie stammt aus
der Feder des deutschnationalen Dichters Ottokar
Kernstock.5 Die politische Propaganda in den Schu-
len zeigt ihre Wirkung. 100.000 Schüler, so berichtet
die Presse euphorisch, nehmen im Frühjahr 1935
am Wettbewerb teil und reichen einen Heimatauf-
satz ein. 56 Mädchen und Jungen werden Ende Juni
in Wien im Rahmen einer patriotischen Feierstunde
ausgezeichnet. Öffentlichkeitswirksam und vor ver-
sammelter Presse überreicht der christlichsoziale, der
neuen Regierung loyal verbundene, Bundespräsident
Wilhelm Miklas die Preise (Abb.
2).
Die Propagandamaschinerie des österreichischen
„Ständestaates“ scheut ab 1933/34 keine Anstren-
gung, Patriotismus und Heimatbewusstsein zu för-
dern, wo nur immer möglich. Wenn Anlässe fehlen,
werden diese ad hoc geschaffen. Das Weihnachtsfest
im Jahr 1936 etwa wird kurzerhand zur „Weihnacht
der Heimat“ erklärt. Wieder tritt Bundespräsident
Miklas in Aktion. Diesmal werden 100 000 ausge-
wählte Kinder öffentlichkeitswirksam mit einem
Weihnachtsgeschenk bedacht. Die Symbolik ist un-
übersehbar in einer Zeit der ökonomischen Krise,
hoher Arbeitslosigkeit und verbreiteter Armut.
Die eifrige Kultivierung der „Heimatliebe“ ist zwar
nach 1933/34 Teil der offiziellen staatlichen Ideo-
logie, aber ihre Ursprünge reichen weiter zurück.
Schon Jahre bevor die autoritäre christlichsoziale
Regierung dazu ansetzt, die Macht im Staat gänzlich
an sich zu reißen, zeichnet sich ein neuer Heimatdis-
kurs ab. Die Schwelle ist das Jahr 1927, jenes Jahr, in
dem der Wiener Justizpalast brennt und die heftigen
politischen Auseinandersetzungen zwischen links
und rechts auf einen ersten Höhepunkt zusteuern.
Die Sozialdemokratie geht geschwächt aus diesem
Zusammenstoß auf der Straße hervor. Dennoch, ihre
vollkommene Niederlage wenige Jahre später ist noch
nicht vorherzusehen. In diesem Jahr mehren sich die
Zeichen für einen neuen, konservativen Patriotismus.
Kräftig unterstützt vom Bundesministerium für Han-
del und Verkehr wird 1927 beispielsweise eine groß
angelegte Kampagne für den heimischen Fremden-
verkehr gestartet, die bis weit in die 1930er Jahre hi-
nein fortgeführt wird. Ihr Motto lautet: „Das schöne Abb.
2 Patriotische Hei-
matkunde im Dienste
der
Regierung. Aufsatzwettbewerb
in Niederösterreich im Jahr
1935 zum Thema „Heimaterde
wunderhold“. Das interessante
Blatt, 11.
Juli 1935, Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang