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393Poetik
des Alltags
Text der Reportage stammt vom jungen Wiener Au-
tor Erich Rattner, geb. 1914 in Wien, der regelmäßig
Beiträge für den Sonntag schreibt.
Rudolf Spiegel ist zwar Amateur, aber er passt
nicht so recht ins Spektrum jener vereinsmäßig or-
ganisierten Amateurlichtbildner, die in den 1930er
Jahren immer stärker patriotisch-konservative An-
wandlungen haben. Dieser Strang der idealisieren-
den Fotografie, die ihre Erfüllung in entrückten, idyl-
lischen Landschaften und in neopiktorialistischen
Genredarstellungen und Stillleben findet, ist Oplatkas
Sache nicht.33 Als im März 1935 Wiener und Grazer
Polizeibeamte ihre Amateurfotos öffentlich ausstellen,
kritisiert der Sonntag den Hang der Amateure, sich
von der Wirklichkeit abzuwenden. „Man kann es in
den Amateur-Ausstellungen von Angestellten und
Arbeitern immer wieder beobachten, die Freude am
‚Motiv‘ hört meist dort auf, wo der Alltag beginnt.“34
Oplatka bevorzugt Fotografen, die einen ideolo-
gisch ungetrübten, nüchternen, neugierigen Blick auf
die Wirklichkeit werfen. Dem Gros der österreichi-
schen Amateurfotografenbewegung gegenüber zeigt
er sich eher skeptisch. Aber einzelne innovative Ama-
teure, die sich nicht vor den Karren der herrschen-
den Weltsicht spannen lassen, schätzt er durchaus.
Zu den neugierigen, offenen Amateurfotografen, die
immer wieder im Sonntag vertreten sind, gehören
neben Rudolf Spiegel auch Nikolaus Schwarz, Robert
Haas, Martin Imboden, Kurt Husnik, Walther Schnei-
der, Felix Braun, Ernst Kassowitz, Hans Popper, Willy
Eggarter und Sepp Nowak.
Auch unter den professionellen Pressefotografen
bevorzugt Oplatka jene, die sich neben ihrem Tages-
geschäft einen originellen Blick auf die Gegenwart
bewahrt haben. Meist wählt er aus Bildern aus, die
nicht politische Ereignisse illustrieren, sondern Stim-
mungen wiedergeben oder Alltagseindrücke am Ran-
de von gesellschaftlichen Begebenheiten festhalten.
Bemerkenswert ist, dass er selten auf das Angebot von
Fotoagenturen zurückgreift35, lieber hält er den per-
sönlichen Kontakt zu den Fotografen. Unter den pro-
fessionellen Pressefotografen, die regelmäßig im Sonn-
tag publizieren, sind etwa Otto Skall, Max Fenichel,
Hans Casparius, Karl Schleich, Paul Macku, Bruno
Völkel und Lothar Rübelt.36 Otto Skall ist jener Fotograf, der im Sonntag am
häufigsten vorkommt. Mit ihm verbindet Oplatka
eine jahrelange enge Arbeitsbeziehung, vermutlich
sind die beiden auch befreundet. Skall ist ein über-
aus origineller, vielseitiger und fähiger Lichtbildner,
der sich auf das Konzept des Sonntag besonders gut
einzustellen versteht. Er ist 1884 in Prag geboren und Abb.
10 „Das Sterben der
Autos“. Fotoreportage über
einen
Wiener Autofriedhof. Der
Sonntag, 10.
Oktober 1937,
Titelseite. Text: Erich Rattner,
Foto: Rudolf Spiegel.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang