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400 Fotografisches Feuilleton · „Der Sonntag“: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie
gelmäßig im Sonntag, u. a. Bilder zu Alltags- und so-
zialen Themen.49 So wie andere junge Fotografinnen
der Zeitschrift arbeitet sie als Amateurin und sucht
zugleich Publikations- und Verdienstmöglichkeiten in
der Presse. Auch Käthe Serog, die das Fotografieren
bei Trude Fleischmann gelernt hat, Hilde Hubbuch
oder Liesel Chat sind nach ihrer Ausbildung als Ama-
teurfotografinnen tätig und publizieren gelegentlich
in der illustrierten Presse.
Andere junge Frauen – viele von ihnen haben die
Graphische Lehr- und Versuchsanstalt in Wien absol-
viert – gehen einen Schritt weiter und versuchen als
Pressefotografinnen kommerziell Fuß zu fassen. Sie
lassen sich stärker auf die Gegebenheiten und Erfor-
dernisse der Zeitungen und Zeitschriften ein. Zu ih-
nen gehört etwa Steffi Schaffelhofer, die 1930 in den
Wiener Bildern debütiert und seit Anfang der 1930er
Jahre interessante Alltags- und Reisereportagen ge- staltet. Ab 1934 arbeitet sie regelmäßig für den Sonn-
tag, im April 1935 etwa liefert sie für das Titelfoto ein
schönes, ausdrucksstarkes Porträt einer bekannten
chinesischen Figur im Wiener Vergnügungsviertel
Prater, die im Volksmund „Chineser“ (der Chinese)
heißt (Abb.
19). Auch Lena Schur kann sich – neben
ihrer Amateurtätigkeit – als Pressefotografin etablie-
ren. Sie ist sehr vielseitig und fotografiert ab 1933 für
unterschiedliche Zeitungen und Illustrierte, zunächst
arbeitet sie im Bereich Theater und Mode, dann, ab
1934, fotografiert sie auch Reportagen. Mitte der
1930er Jahre gründet sie unter dem Namen „Kondor.
Pressedienst Leonora Schur“ eine eigene Fotoagentur,
die mit internationalen Agenturen, etwa Prisma in
Zürich, zusammenarbeitet. Als Fotografin tut sie sich
zeitweise mit Luise Deutsch zusammen, die 1933/34
die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt absolviert
und hin und wieder für die Presse arbeitet.50 Ab 1934
ist Lena Schur regelmäßig im Sonntag präsent, wo
sie u. a. Sozial- und Reisereportagen veröffentlicht.
Auch Lucca Chmel publiziert nach ihrem Studienab-
schluss an der Graphischen Lehr- und Versuchsan-
stalt im Jahr 1933 erste Fotos in der Presse. In den
folgenden Jahren deckt sie ein breites Spektrum an
Themen und Motiven ab, das von Alltagsszenen über
Porträts, Mode- und Theaterfotos bis hin zu Land-
schaftsbildern reicht. Sie pendelt geschickt zwischen
gemäßigt modernen Ansätzen und heimattümelnden
Aufnahmen, die gut in die konservative Publizistik
dieser Jahre passen. Gelegentlich veröffentlicht sie
auch im Sonntag. Im Februar 1938, wenige Wochen
vor der Einstellung der Zeitung, hat im Sonntag eine
weitere Fotografin ihr Debüt: Edith Wellspacher. Die
Wiener Ärztin und Fotoamateurin berichtet in einer
Reportage von ihrer Zeit im Spanischen Bürgerkrieg
im Jahr 1936.51
Der Sonntag ist in der zweiten Hälfte der 1930er
Jahre ein offenes und vergleichsweise internationales
fotografisches Forum in Österreich. Allein die Büh-
ne, die im selben Verlag erscheint, kann in dieser
Hinsicht mithalten. Auch sie publiziert regelmäßig
Fotobeispiele ausländischer Fotografen. Neben den
zahlreichen österreichischen Mitarbeitern, die einen
Großteil des Bildmaterials für den Sonntag liefern,
spricht Oplatka auch immer wieder ausländische Fo-
Abb.
18 „Maskenball“. Der
Sonntag, 16.
Januar 1938,
Titel-
seite. Foto: Robert Haas.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang