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406 Fotografisches Feuilleton · „Der Sonntag“: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie
sen; die Gasmaske deckt das junge Gesicht, das eine
Mutter lieb hat. Was schon bisher Regel war, wird
nun strenges Gesetz in Italien; die Trommel übertönt
die Kinderlieder; im Bereich der Möglichkeiten liegt,
was wir Europäer nun schon so lange hoffnungsvoll
für unmöglich hielten.“62 Gemeint ist der Krieg, den
Mussolini kurz zuvor in einer Rede auf pathetische
Weise beschworen hat. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammt auch der
Text von Hans Oplatka. Obwohl dieser in politischen
Fragen überaus zurückhaltend ist, lässt er hier zwi-
schen den Zeilen eine deutliche Kritik an der zuneh-
menden Militarisierung im Nachbarland durchklin-
gen. Und dies just zu dem Zeitpunkt, als zwischen
Österreich und Italien eine deutliche politische An-
näherung zu beobachten ist. Im März 1934 werden
nämlich die „Römischen Protokolle“ unterzeichnet,
die eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Län-
dern einleiten. In innenpolitischen Fragen ist Oplatka
noch weit zurückhaltender und vorsichtiger. Politi-
sche Kommentare zur Regierungspolitik kommen im
Sonntag praktisch nicht vor, offene Kritik schon gar
nicht. Auch wenn die Zeitung in der Regel Abstand
zur Politik hält, entzieht sie sich nicht ganz dem poli-
tischen Kurs des „Ständestaates“. Gelegentlich wird
im Sonntag propagandistischen Regierungsinitati-
ven sogar erstaunlich viel Platz eingeräumt. Im Mai
1934 etwa wird ausführlich und positiv über den neu
eingeführten „Freiwilligen Arbeitsdienst“ und das
Arbeitslager in Kaiser-Ebersdorf berichtet.63 Wenig
später, Ende September 1934, erscheint ein großer
Bildbericht über die Eröffnung der neu erbauten
Großglockner Hochalpenstraße, die als patriotisches
Bauprojekt des „Ständestaates“ gilt.64
Dennoch: Ein Thema bringt Oplatka, aller innen-
politischen Vorsicht zum Trotz, immer wieder in die
Öffentlichkeit: die Warnung vor einem neuen Krieg.
Sein engagierter Pazifismus ist, in Zeiten einer zu-
nehmenden Militarisierung der Gesellschaft, die in
den 1930er Jahren auch Österreich erfasst, sehr wohl
auch ein innenpolitisches Statement. Allerdings be-
müht sich Oplatka, die konkreten Adressaten seiner
Warnungen nicht namentlich anzuführen. Ende Juni
1935 erscheint – fast genau 21 Jahre nach dem Beginn
des Ersten Weltkriegs – eine Ausgabe des Sonntag, die
ganz dem Thema Kriegsgefahr gewidmet ist – es ist
eine Art Antikriegsnummer.
Für die Titelseite verwendet Oplatka eine (vermut-
lich selbst hergestellte) Fotomontage, die eine steiner-
ne Figur der Wiener Hofburg in den Kriegsgott Mars
verwandelt (Abb.
24). Die weiße Statue, die aus extre-
mer Untersicht gezeigt wird, kommt den Betrachtern
mit erhobenem Arm und einem Dolch in der Hand
Abb.
24 „Der nächste Krieg“.
Kriegskritische Fotomontage.
Der Sonntag, 29.
Juli 1935,
Titelseite.
Montage:
vermutlich
Hans Oplatka.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang