Page - 444 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
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444 Eine andere Kulturgeschichte · Schluss
Bildlieferanten für einen komplexen Medienbetrieb.
Erst in einigen jüngeren Darstellungen der Fotoge-
schichte sind sie zu journalistischen Heroen, zu he-
rausragenden Einzelkämpfern des Fotojournalismus
emporgehoben worden.
Bis weit in die Zwischenkriegszeit hinein ist der
Beruf des Pressefotografen – im Vergleich zu den
schreibenden Journalisten – keineswegs hoch angese-
hen. Viele der Fotografen sind freiberuflich tätig und
arbeiten gleichzeitig für mehrere Zeitungen. Ihre Ver-
handlungsposition gegenüber ihren Auftraggebern,
den Redaktionen, ist schwach. Es kommt häufig vor,
dass Pressefotografen nach einigen Jahren Berufs-
tätigkeit die Arbeit wieder aufgeben, als angestellte
Fotografen in ein Fotoatelier zurückkehren oder ei-
nen ganz anderen Beruf ergreifen. Vor diesem Hin-
tergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass die
biografischen Zeugnisse über die Pressefotografen re-
lativ dünn gesät sind. Während die schreibende Zunft
es verstand und versteht, ein Berufsethos zu kulti-
vieren und gesellschaftliche Anerkennung über ihren
Arbeitsplatz hinaus zu erlangen, bleiben die meisten
Pressefotografen, die bis zur Mitte des 20. Jahrhun-
derts tätig sind, kaum einer breiteren Öffentlichkeit
bekannt. Es ist bezeichnend für das Berufsbild des
Pressefotografen, dass in den Zehntausenden von
Zeitungsseiten, die ich im Zuge meiner Forschungen
gesichtet habe, kein einziger österreichischer Pres-
sefotograf, mit Ausnahme Lothar Rübelts, als Prot-
agonist vor der Kamera auftaucht. Von den meisten
Lichtbildnern ist kein Porträt bekannt. Bildmaterial,
das sie bei ihrer Arbeit zeigt, ist überaus rar.
Dennoch ändert sich das Image der Pressefotogra-
fen in der Zwischenkriegszeit. Einige der Fotografen
treten allmählich aus der Anonymität heraus und
es gelingt ihnen, sich in der Welt des Journalismus
einen Namen zu machen. Ein wichtiger Katalysator
dieser Entwicklung ist die Star- und Prominenten-
fotografie, die nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur
die Porträtierten ins Licht der großen Öffentlichkeit
rückt, sondern auch, wenn auch in weit geringerem
Maße, die Urheber der Bilder. Der Berliner Erich Salo-
mon ist einer der ersten deutschen Pressefotografen,
der bereits um 1930 im Schatten seiner berühmten
Porträtierten Kultstatus erlangt.24 Die Kultivierung berühmter Fotografen ist auch das Ergebnis der
rasanten Auflagensteigerungen der illustrierten
Presse in den 1920er Jahren, wie sie vor allem in
Deutschland zu beobachten ist. Große Verlagshäuser
wie Ullstein gehen in den 1920er Jahren dazu über,
bekannte Fotografen unter Vertrag zu nehmen und
diese als Stars zu lancieren. Mit dem Aufkommen der
modernen Fotoreportage Ende der 1920er Jahre, die
den Namen des Fotografen oft gleichrangig mit dem
des Textautors an prominenter Stelle zu Beginn eines
Beitrags nennt, erhöht sich ihr gesellschaftlicher Stel-
lenwert noch einmal.
Auch wenn in diesem Buch die medien- und ge-
sellschaftsgeschichtliche Bedeutung und weniger
das Einzelwerk von Fotografen im Vordergrund
steht, habe ich dennoch nicht darauf verzichtet, auf
Werk und Biografie immer wieder auch explizit zu
sprechen zu kommen. Zudem habe ich im Anhang
Kurzbiografien österreichischer Pressefotografen
der Jahre 1890 bis 1945 zusammengestellt, die in ih-
rer Gesamtheit eine Art Kollektivbiografie ergeben.
Viele dieser Fotografinnen und Fotografen waren in
der Fotografiegeschichte bisher nicht oder kaum be-
kannt.25 Im Zuge der Recherchen zu vorliegendem
Buch konnten zahlreiche neue Informationen zu de-
ren Lebenslauf und Werk gewonnen werden. Wenn
wir diese Einträge in ein Gesamtmuster einordnen,
lassen sich langfristige Entwicklungen besser beur-
teilen. Es wird beispielsweise deutlich, wie sehr die
Pressefotografie ein männlich dominiertes Metier ist.
Bis in die 1920er Jahre arbeiten praktisch ausschließ-
lich Männer hinter der Kamera. Erst während des Ers-
ten Weltkriegs beginnt sich die Rolle der Geschlechter
nachhaltig zu verändern. Bereits während des Krieges
werden Fotoateliers und Fotoagenturen von Frauen
(weiter)geführt, während die Männer Kriegsdienst
leisten. Nach dem Krieg, vor allem aber ab Ende der
1920er Jahre, beginnen vermehrt Frauen im Bereich
der Pressefotografie zu arbeiten. Sie wählen sehr oft
die „weicheren“ Themen und spezialisieren sich etwa
auf die Theater-, Tanz-, Porträt- und Aktfotografie, sie
erstellen gesellschaftspolitische Dokumentationen
und liefern Reise- und Sozialreportagen. Die politi-
sche Tagesberichterstattung ist weiterhin fest in der
Hand der Männer.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Subtitle
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Author
- Anton Holzer
- Publisher
- Primus Verlag
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Size
- 23.0 x 29.0 cm
- Pages
- 498
- Keywords
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Category
- Medien
Table of contents
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang