Page - 74 - in Religion, Medien und die Corona-Pandemie - Paradoxien einer Krise
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Auch die Corona-Lieder vermitteln Werte: Sie erö!nen eine unüber-
windbare Spannung zwischen Gut und Böse. Als das Böse wird entweder
das Virus wie bei Sebel oder das egoistische Handeln der Menschen, man
denke an die Anklage von GReeeN, festgesetzt. Gut sind Solidarität, Ho!-
nung, Glaube und Nächstenliebe. Sebels Liedtitel Zusammenstehen fasst
diese Idee prägnant zusammen. Au!allend ist dabei, dass sich zwischen
diesen beiden Polen kein Mittelweg findet: Das Gewebe der Liedtexte be-
steht aus Schwarz und WeiĂź. Grauzonen oder auch andere Kolorierungen
finden sich nicht. Um dieses Böse und Gute lyrisch auszudrücken, werden
Vorstellungen und Bilder aus Religionen, vor allem christlichen Kontex-
ten, ĂĽbernommen. Die Krankheit wird mit einem apokalyptischen Zu-
stand, dem Ende der Welt und dem Teufel konnotiert, während Egoismus
mit den sieben TodsĂĽnden verbunden wird. Auf der anderen Seite kom-
men die christlichen Tugenden Glaube, Liebe und Ho!nung zum Tragen,
die biblisch besonders im 1. Korintherbrief 13,13 ausgefĂĽhrt werden. Der
Mensch hat nun – so die Lieder – die Wahl: Er kann sich für das Gute oder
das Böse entscheiden, aber beides gleichzeitig ist nicht möglich. Die Wahr-
heitsfrage wird in den Musiktexten also vorweggenommen und Wahrheit
als unverrĂĽckbar festgesetzt. Das vermittelte Weltbild ist dualistisch, klar
und teilweise etwas simpel.
Trotz der Wahlfreiheit des Menschen scheint in den StĂĽcken aber ein
Glaube an das Gute im Menschen vorzuherrschen. Der Mensch wird als
potenziell solidarisch dargestellt, die Gier und der Egoismus werden als ei-
gentlich unmenschlich inszeniert. Die Songs plädieren an die Güte der
Hörenden und fordern sie dazu auf, der richtigen Seite zu folgen. Eben zu-
sammenzustehen und nicht massenha# Klopapier zu kaufen. Durch die
Kompositionen wird ein HarmoniebedĂĽrfnis ausgedrĂĽckt, das nicht nur in
den Lyrics, sondern auch in den Melodien zur Geltung kommt.
Die Funktion des dualistischen Weltbilds, das in den Liedern deutlich
wird, ist die Scha!ung von Orientierung in einer komplexen, unsicheren
Situation. Die in den MusikstĂĽcken propagierten Vorstellungen sind klar
und verständlich, die besungenen Handlungsanweisungen formen Sinn.
Sie reduzieren die Komplexität der Krankheit sowie der Krisensituation
und vermitteln Leitlinien im Umgang mit den Mitmenschen. Diese Le-
benstipps beruhen auf bekannten christlichen Ideen; sie scha!en nicht et-
was Neues, sondern reproduzieren traditionelle Werte.
Die Lieder bringen also tolle Melodien und zum Teil nachdenkliche,
zum Teil lustige Texte in die Wohn- und Arbeitszimmer. Man kann mit-
singen, mitlachen, die Musikstücke teilen und so – trotz Pandemie – sozial
agieren. Aber die Songs bieten noch mehr: nämlich Orientierung bezüg-
lich des richtigen Handelns in einer schwierigen Zeit.
Unterhaltung in der Pandemie
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Title
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Paradoxien einer Krise
- Author
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Editor
- Anna-Katharina Höpflinger
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 134
- Categories
- Coronavirus
- Medien
Table of contents
- EinfĂĽhrung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ĂĽhrungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133