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tergrund und legen imaginative Räume frei. Metaphern dieser Art erwei-
tern unsere Erfahrung und bereichern sie dadurch, dass wir mit ihnen die
Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit evozieren können. Metaphern spielen
eine zentrale Rolle in der Beziehung zwischen Menschen und der Welt, in
der sie leben; sie sti#en auf einer sprachlichen und imaginativen Ebene
Sinn und Orientierung.
Damit wird eine wichtige Funktion von Sprache als demjenigen Werk-
zeug hervorgehoben, mit dem kollektive Leitideen entworfen werden.
Sprache ist in diesem Sinne mythisch, da sie durch Erzählung Orientie-
rung sti#et. In der Beziehung von mythischer Sprache und erfahrbarer
Wirklichkeit wird die Deutung der eigenen Lebensrealität möglich. Dabei
hat mythische Sprache eine doppelte Funktion: Einerseits nimmt sie be-
reits vorhandene Vorstellungen wieder auf, andererseits gestaltet sie noch
nie gedachte Ideenwelten. Es sind die Metaphern, die es uns erlauben,
trotz des begrenzten Wortschatzes einer Sprache unendliche Interpretatio-
nen zu formulieren.
Metaphorische Sprache als religiöse Horizonterweiterung
In seinem Beitrag für Focus Online setzt Frank André Meyer Metaphern ein
wie «unergründlicher Weltgeist», «Schöpfung» und «schöpferische Zei-
ten», «Weltheil», «Weltgericht», «Apokalypse» und «Unbehaustheit des
Menschen». Sie alle stammen aus der jüdisch-christlichen Tradition und
werden für eine Reflexion über die Pandemie verwendet.
Zwar geht es dem Autor in erster Linie um ökonomische und politische
Veränderungen, die aus der Corona-Krise erwachsen (sollten). Die Ver-
wendung geläufiger religiöser Metaphern erweitert jedoch den Horizont
seiner Ausführungen: Damit werden in seinen Reflexionen Verweise auf
andere Dimensionen hineingewoben, die wirksam sind. Bereits einleitend
schreibt Meyer:
Zentraler Begri! dieses Produktionsablaufes ist die Wertschöpfungs-
kette, also Schöpfung – die Erscha!ung der Welt, irgendwie.
Religiöse Sprache und religiöse Metaphern vermögen es, Dimensionen zu
beschreiben, die die Möglichkeiten der alltäglichen Erfahrung übersteigen.
Diese Möglichkeit der Sprache kann beispielsweise mit «Weltgericht» aus-
geführt werden. Auch wenn das Weltgericht in unterschiedlichen Kontex-
ten wie in der Politik, in der Psychologie oder in der Theologie beschrie-
ben werden kann, bleibt diese Metapher immer unscharf und uneindeutig.
Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Title
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Paradoxien einer Krise
- Author
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Editor
- Anna-Katharina Höpflinger
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 134
- Categories
- Coronavirus
- Medien
Table of contents
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133