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Zipper und sein Vater
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gewesen. Denn er nahm es mit der Zeit genau. Er besaß eine Uhr, von der mein Freund mit Recht sagte, sie wäre ein Chronometer. Es war eine große goldene Uhr mit Deckel. Das Zifferblatt bestand aus lila Emaille. Die schwarzen römischen Ziffern hatten goldene Ränder. Ein unscheinbarer, kaum sichtbarer Haken neben dem Bügel brachte ein Läutewerk in Bewegung. Eine klare, kleine, silberne Glocke schlug die eben verflossene Stunde und Viertelstunde. »Diese Uhr«, so sagte Zippers Vater, »kann ein Blinder ebensogut benützen wie ein Sehender. Die Minuten«, fügte er witzig hinzu, »muß er sich freilich dazudenken. Diese Uhr ist noch nie beim Uhrmacher gewesen. Sie geht schon einundvierzig Jahre Tag und Nacht. Ich habe sie einmal unter ungewöhnlichen Umständen in Monte Carlo erworben.« Diese »ungewöhnlichen Umstände« gaben dem jungen Zipper und mir nicht wenig zu denken. Der Vater, mit dem wir bei hellichtem Tage zusammenkamen, der ein Mensch war wie andere Menschen, mit einem schwarzen runden Hut und einem Stock mit Elfenbeingriff – der übrigens auch seine Geschichte hatte –, dieser Vater hatte irgendwann und gerade in Monte Carlo unter ungewöhnlichen Umständen etwas erlebt. Wir sahen mit Ehrfurcht, wie der alte Zipper die astronomische Uhr der Sternwarte mit seiner Uhr verglich, den Stand der Sonne um Mittag kontrollierte, die elektrischen Zeitmesser in der Stadt. Manchmal, wenn er am Tisch saß und alle schweigsam aßen, schob er den Riegel an der Uhr, und die Tischgenossen lauschten verwundert dem rätselhaften Klang. Zippers Vater liebte Überraschungen. Er gebrauchte sogenannte Juxgegenstände, falsche Zündholzschachteln, aus denen kleine Mäuschen sprangen, Zigaretten, die explodierten, und kleine Gummiblasen, die unter dem dünnen Tischtuch gespensterten. Er kümmerte sich um viele kleine Dinge, die Erwachsene gewöhnlich verachten. Er hatte aber auch Interesse für wichtigere Gegenstände, für Geographie, Geschichte, Naturwissenschaften zum Beispiel. Die alten Sprachen achtete er gering, auf die modernen legte er das größte Gewicht »Englisch und Französisch«, so sagte er, »muß heutzutage jeder junge Mann lernen. Hätte ich eine bessere Jugend gehabt, ich wäre direkt polyglott geworden. Latein lasse ich mir noch gefallen. Eventuell braucht man’s, wenn man Mediziner oder Pharmazeut wird. Aber Griechisch? Eine tote Sprache! Homer kann man auch in der Übersetzung lesen. Die griechischen Philosophen sind längst überholt. Am liebsten hätte ich Arnold in die Realschule gegeben. Aber die Mutter! Dabei behauptet sie, daß sie ihren Sohn liebt. Liebt ihn und läßt ihn griechische Grammatik lernen!« Es gab noch mehr Meinungsverschiedenheiten zwischen dem alten Zipper und seiner Frau. Sie hatte Respekt vor Lehrern, Priestern, dem Hof und den Generalen. Er war ein Leugner ewiger Wahrheiten, ein Rebell und ein 6
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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