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betrifft, so kam Arnold erst spät dazu, seine Mutter zu lieben. Vorläufig hielt
er sich mehr an den Vater, der ihm ja mehr Spaß bereitete. Die Erziehung
hatte der alte Zipper allein übernommen, obwohl er seine Söhne
häufig ihre Kinder nannte. Es waren Söhne, und er hatte beschlossen, aus
ihnen »Menschen zu machen«.
Er begann mit der »Erziehung zur Männlichkeit«. Die spartanischen
Methoden imponierten ihm, aber Athen nicht weniger. Von Sparta und Athen
wußte er nur, was er, ein Autodidakt, unter der Hand an Wissen errafft hatte.
Er kannte überhaupt die Geschichte aus Anekdoten, die Welt aus dem
Photoplastikon, das Leben aus dem Briefkasten der Zeitung. Was er nicht
wußte, erfuhr er aus dem Lexikon oder am Mittwoch von der Redaktion.
Viele Fragen beschäftigten ihn im Laufe eines Tages. Ihn interessierte die
Entfernung der Erde vom Mond, vom Mond zur Sonne, von der Sonne zum
Mars. Ihn interessierten die Milchstraße, der Brand von Moskau, der Krieg in
der Krim, die letzte Choleraepidemie in Wien, ein System, Geld in Monte
Carlo zu gewinnen, die Schädlichkeit der Fliegen, die Wirkung eines
Sonnenbrands, die Höhe des Gaurisankars, der erste Aeroplan, das
Privatleben des Grafen Zeppelin, die erste Aufführung der »Räuber«, die
letzten Indianer in Bolivien. Er hatte den ewig ungestillten Wissensdurst des
einfachen Mannes, der sich hinaufgearbeitet hat und der an dem Irrtum leidet,
Wissen sei Bildung, Bildung mache stark und Stärke erfolgreich. Er schwor
auf Hygiene. Er selbst tauchte seine Kinder jeden Tag in kaltes Wasser. Als
sie drei Jahre alt waren, kaufte er ihnen kleine Fahrräder. Cäsar hatte sich
schon mit acht Jahren selbständig gemacht. Arnold aber bekam immer neue,
immer größere Fahrräder. Er bekam Roller, Schlittschuhe, Schlitten und Skis,
Tennisrackets und Säbel zum Fechten. Als Fünfjähriger lernte Arnold tanzen.
Er lernte Nationaltänze. Er tanzte Mazurka, Krakowiak, Kasatschok, Csárdás,
er lernte mit Kastagnetten klappern. Der alte Zipper ließ bei einer
Wohltätigkeitsvorstellung Arnold als Tänzer auftreten. Der Alte saß in der
ersten Reihe. Für den halben Saal hatte er Freikarten verteilt. Weite
Verwandte, gleichgültige Bekannte schleppte er herbei. Dann ließ er Arnold
auf der Bühne photographieren. Er selbst kam heraus und verneigte sich,
nachdem er fünf Minuten vorher geklatscht hatte.
Er führte Arnold jeden Sonntag ins Hippodrom und lehrte ihn reiten. Er
nahm einen »Lehrer für dramatische Kunst«, Arnold lernte deklamieren.
Bestimmte Verse mußte Arnold immer wieder seinem Vater vorsprechen. Der
Alte hatte einen besonderen literarischen Geschmack. Er liebte ein Gedicht
von Rudolf Baumbach: »Die Reise ins Paradies«. Obwohl er den Kaiser
verachtete, hörte er doch gerne das Gedicht eines zeitgenössischen Lyrikers,
der zum Thema seiner Dichtung den Tag des Kaisers gewählt hatte. Jede
Strophe behandelte je eine Stunde dieses Tages und die Arbeit, die der
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Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110