Page - 19 - in Zipper und sein Vater
Image of the Page - 19 -
Text of the Page - 19 -
Delikatessenhändler, ihre Tochter nur einem wohlhabenden Manne zu geben
gewillt waren. Er spielte in der Lotterie und gewann. Hierauf besuchte er die
Eltern seiner Geliebten und sprach davon, eine Musikalienhandlung zu
eröffnen. Er verlobte sich. Eine kleine Musikalienhandlung paßte ihm nicht,
er wollte mit einer großen anfangen. Dazu mußte man mehr Geld haben, als
er gewonnen hatte. Weil er an sein Glück glaubte, auch einige Abenteuer zu
bestehen gedachte, ging er zur Bahn und fuhr nach Monte Carlo. Und dort
ereigneten sich jene außergewöhnlichen Umstände, unter denen er seinen
Chronometer erstanden hatte.
Er verlor den größten Teil seines Geldes, kam zurück, heiratete. Es reichte
nicht einmal mehr für eine kleine Musikalienhandlung. Er bekam durch die
Vermittlung seines Schwiegervaters ein Papiergeschäft in Kommission. Wie
weit war er da vom Eichenholz entfernt! Er mußte den ganzen Tag zu den
großen Firmen der inneren Stadt gehen, um Bestellungen auf Drucksorten
aufzunehmen. Indessen saß seine junge Frau in einem kleinen
Delikatessenladen und verkaufte Heringe auf Kredit. Nachdem Zipper sich,
wie es heißt, »eingearbeitet« hatte, gab seine Frau die Heringe auf. Man
konnte bei dem Papiergeschäft nie reich werden, aber lange am Leben
bleiben. Allmählich war Zipper seine Beschäftigung lieb geworden. Sie war
keine Arbeit. Sie gestattete ihm, langsam durch die lebendigsten Straßen der
Stadt zu gehen, mit den Direktoren der größten Geschäfte zu sprechen, bei der
und jener Gelegenheit manches zu erfahren, wonach ihn zu wissen dürstete.
Er schaffte sich Verbindungen, an denen ihm viel gelegen war.
Theaterkassierern, Varieté-Agenten, Zirkusdirektoren kam er immer näher.
Kleinen Menschen machte er gelegentlich kleine Geschenke, zum Beispiel
Visitkarten. Wo andere zahlen mußten, stand ihm der Zutritt frei. Wo andere
warteten, drang er als erster vor. Und selbst wo man, ohne zu warten,
vordringen konnte, war es ihm lieb, so zu tun, als könnte nur er zuerst
darankommen.
Seinem Beruf entsprechend wechselte seine Kleidung. Eine bestimmte
Delikatesse in der Wahl seiner Stoffe und seiner Hemden und seiner
Krawatten schien ihm angeboren. Daß er von Zeit zu Zeit in Modeschriften
einen Blick warf, glaubte er seiner Karriere schuldig zu sein. Sie zu machen,
war er fest entschlossen. Doch war auf dem Weg eines alltäglichen
Papierhandels freilich kein großer Reichtum zu erwarten. Infolgedessen
unterbreitete Zipper, in seinem »Auftreten« unterstützt durch die elegante
Note seiner Kleidung, verschiedenen einflußreichen Persönlichkeiten
»Projekte«. Seine Vorschläge bezogen sich auf die Verbesserung der
Straßenbahnbremsen, auf die Hebung des Fremdenverkehrs, auf eine neue
Organisation des Reklamewesens. Manche Einfälle gebar sein Kopf. Ständig
ging er mit Plänen schwanger. Allmählich, da kein einziger gedieh, wurde er
19
back to the
book Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110