Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Zipper und sein Vater
Page - 23 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 23 - in Zipper und sein Vater

Image of the Page - 23 -

Image of the Page - 23 - in Zipper und sein Vater

Text of the Page - 23 -

unbezahlten Rechnungen, die arme Frau, und sie war schon über das Unglück getröstet, das ihr Mann eben verkündigte. Sie sah schon die Kehrseite dieses Unglücks, es fing an, einer Hoffnung ähnlich zu sehen. Da sagte Zipper: »Von dem Preis haben wir natürlich nicht gesprochen.« Dieses »natürlich« habe ich damals nicht begriffen. Warum war es Zipper so natürlich, nicht vom Preis zu sprechen? Ach, was war er doch für ein nobler Mann, der alte Zipper!… Jetzt kam aus dem Auge der Frau Zipper die zweite Träne. Still und glänzend kam sie, rollte langsam und lautlos in die Stille und verlor sich bei den Lippen. Dann nahm der Abend seinen Lauf. Frau Zipper begab sich in die Küche, Arnold und ich arbeiteten an einer mathematischen Aufgabe, Herr Zipper las die Zeitung. Die alte Wanduhr, die in dem vermieteten Salon hing, schlug die Stunden, das Fenster war offen, man hörte Stimmen plaudernder Menschen und von Zeit zu Zeit einen Hund bellen, ein Kind schreien, eine schwere Fliege um die Lampe summen. Alles war so, wie es jeden Abend hätte sein können. Aber es war außer all dem noch etwas da, der Atem eines Fremden, der Flügelschlag eines unbekannten Fluches, das unhörbare Signal einer Entscheidung. Wir waren alle zerschmettert, als hätten wir soeben erfahren, daß in dieser Nacht die Welt untergehen würde. Was schien mir denn so schrecklich an der Tatsache, daß die Zippers den Salon vermieten würden? War es, weil ich so oft in jenem kühlen, modrigen Zimmer gespielt hatte? War es mir lieb geworden? Ging es mir verloren, ein Stückchen Heimat? Sah ich den schmalen Sonnenstreifen schwinden, die Staubsäule vom Tisch zum Fenster? Dachte ich mit Wehmut an die blaue gläserne Garnitur? Es war, als wäre jemand gestorben. Der alte Zipper raschelte mit der Zeitung – und jedesmal, wenn er ein Blatt umwandte, ergriff mich ein Schrecken. Arnold zeichnete mechanisch, er konnte nichts begreifen. Wir wollen lachen und können nicht. Plötzlich sehen wir uns an und senken wieder die Köpfe über den Heften. Aus der Küche kommt ein Schluchzen. Wahrscheinlich weint Frau Zipper. Arnold geht hinaus und kommt wieder nach zwei Minuten. Er sagt gar nichts. »Wo warst du?« fragt der Herr Zipper. »Draußen!« sagt Arnold. Schließlich erhob sich der Herr Zipper, ging, die Hände auf dem Rücken verschränkt, ein paarmal durch das Zimmer, setzte sich wieder, faltete die Zeitung zusammen, fuhr mit der flachen Hand über sie hin, um sie geradezubügeln, sah auf seinen Chronometer und sagte: »Es ist elf Uhr und siebzehn Minuten.« 23
back to the  book Zipper und sein Vater"
Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Zipper und sein Vater