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Zipper und sein Vater
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Page - 26 - in Zipper und sein Vater

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verlor immerhin so viel, daß er anfing, billigere Zigarren zu rauchen und schließlich eine Pfeife mit dem billigsten Tabak. – »Eine Pfeife«, erklärte er damals, »ist viel gesünder als eine Zigarre, von der Zigarette ganz zu schweigen. Man sieht vor allem, was man raucht. – Für manche Menschen riecht es vielleicht nicht angenehm«, sagte er noch, wenn seine Frau am Tisch war. Manchmal aber brachte er eine Zigarre nach Haus, eine Trabucco, vielleicht hatte sie ihm jemand geschenkt. Sie steckte einzig und einsam in seinem Zigarrenetui, das ganz schlaff und welk geworden war, mit hängenden Backen. Sie war außerdem noch in ein Stück Zeitungspapier eingewickelt. Am Abend rauchte sie Zipper, tat drei Züge, sah sie an, tat noch einen Zug, legte sie vor sich hin, drehte sie, betrachtete sie von allen Seiten, tat, als suchte er an ihr nach irgendeiner Wunde, steckte sie wieder in den Mund und schwieg. Den Stummel steckte er sorgfältig in seine gelbe alte Bernsteinspitze und rauchte ihn so lange, bis ein kleines armseliges Stummelchen zurückblieb. Dieses holte er mit einem Bleistift heraus, reinigte es von der Asche, zerkrümelte es und schüttete es in seinen Tabaksbeutel. Es ging ihm immer schlechter, dem alten Zipper. Aber je trauriger es mit seinen Einnahmen aussah, desto mehr gesellschaftliche Ehren häufte er an. Jetzt gehörte er schon drei Wohltätigkeitsvereinen und mehreren Geselligkeitsklubs, und in jedem hatte er irgendein Amt. Hier war er Kassierer und dort Obmann und dort Vizepräsident und dort Sekretär. Ein paar Abende im Monat mußte er für Versammlungen, Feiern, Generalrapporte »opfern« – wie er sagte. Je schäbiger, älter, farbloser sein schwarzer Anzug wurde, je grauer und schmutziger seine weiße Krawatte, desto häufiger zog er sich festlich an. Manchmal hatte er seine großen Tage. Da mußte er Reden halten. Zwei Wochen vorher setzte er eine Rede auf, und zwei Wochen lang lernte er sie auswendig. Es kamen in jeder Rede dieselben Wendungen vor, aber der alte Zipper war so fest davon überzeugt, daß er immer wieder besonders originelle Gedanken niedergeschrieben hatte, daß er sich verpflichtet fühlte, sie zu vergessen. Er ging hin und her im Zimmer, in dem alle saßen, und lernte laut, eindringlich und feierlich. Frau Zipper mußte ihn abhören. Obwohl sie die Rede längst auswendig wußte, nahm sie das Manuskript zur Hand und folgte mit dem Zeigefinger jeder Zeile. »Pause!« sagte sie, sooft Zipper allzuschnell von einem Gedankengang zum andern hastete. Meine verehrten Anwesenden! – so begann jede Rede. Und Zipper memorierte auch die Ansprache jedesmal. Wir alle konnten die Rede schon auswendig, außer Cäsar, dessen Kopf widerstandsfähig war gegen jeden Eindruck. Wir alle konnten die Rede schon, es gab Stunden, in denen sie ganz selbständig und obwohl ich mich gegen sie wehrte, in meinem Gehirn 26
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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