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Zipper und sein Vater
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Page - 34 - in Zipper und sein Vater

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Jetzt schien er endgültig verblödet zu sein. Er saß in einem samtenen, roten Stuhl, den man aus dem Salon geholt hatte, und aß die Kriegsberichte, die der alte Zipper gelesen hatte. Einmal aber erwischte er eine Zeitung, die der Vater erst am Nachmittag lesen sollte. Der alte Zipper versuchte, seinem Sohn das Blatt wegzunehmen. Da verlor Cäsar seine Sanftmut. Er sprang auf, fiel nieder, erhob sich, verwüstete mit seinem Stock alle Möbel, das Geschirr, die Spiegel. Man holte Sanitäter, Cäsar verfiel in Delirium und starb einige Tage später. In der einen Stunde, in der Cäsar wütend und die Frau Zipper in Ohnmacht gefallen war, färbten sich die Haare Zippers weiß. Er begrub seinen Sohn und war plötzlich ein alter Mann. Er sprach zu seiner Frau wieder, er sagte ihr wieder du. Die Briefe, die er Arnold ins Feld schickte, klangen wie zerbrochene Glocken. Seine Schrift war immer noch flott, seine Buchstaben waren immer noch rund und groß, seine Unterschrift lag immer noch eingewickelt in ihrem alten Ornament, das einer großen Schleife ähnlich sah oder einem Schmetterling. Die Wendungen, mit denen er seine Briefe einleitete und schloß, waren immer noch die alten. Jeder Brief begann mit der Anrede: »Mein innig geliebter Sohn!« – jeder schloß mit den Worten: »Ohne sonstige Wichtigkeiten Dein Dich liebender Vater.« Aber in den Briefen war die Rede von der Bitterkeit der Zeit. Sie strömten einen trostlosen, unerbittlichen Nebel aus. Er stieg aus ihnen auf wie aus herbstlichen Feldern. Die Briefe rochen schlimmer als der Tod. Sie waren wie das Leben der Lebendigen im Krieg. Man hatte dem alten Zipper ein Verdienstkreuz gegeben. Er bat um die Erlaubnis, außerhalb der Dienststunden Zivil zu tragen. »Ich wünsche mir nur«, so schrieb er einmal an Arnold, »Dich noch einmal zu sehen.« Ich dachte an den Alten aus den Friedenszeiten, der mit uns die Türme bestiegen, die Liliputaner besichtigt hatte, den Schnelläufer, den Wanderzirkus, den Löwenmenschen, die Frauen ohne Unterleib, an den alten Zipper, der seine Uhr unter merkwürdigen Umständen in Monte Carlo erworben hatte, der sein geheimes Läutewerk in Bewegung setzte, Mäuschen aus Zündholzschachteln springen ließ und das Tischtuch gespenstisch bewegte. Ich sah, wie es zu Ende ging mit ihm, den wir gekannt hatten. Er verwandelte sich in einen ganz unbekannten, neuen. War das noch der Zipper? Als ich das letztemal in Urlaub kam, besuchte ich ihn. Er ging in Zivil, es war ein Sonntag, ich traf ihn vor seiner Haustür. Sein Schnurrbart war weiß, seine Haare waren weiß, er stützte sich auf den Stock mit der Elfenbeinkrücke, und sein Rücken war rund. Zipper war um einen halben Kopf kleiner geworden. Einige Male blieb er auf der Stiege stehen, nicht um 34
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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