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dieser Zipper hier?, fragten heute laut: »Warum ist Zipper nicht da?« Er fehlte
den Spielern wie den Sprechern. Einige standen früher von den Spieltischen
auf, weil die ermunternde düstere Zustimmung Arnolds ihnen mangelte.
Einige Beredte schwiegen heute, weil gerade jener Zuhörer ausblieb, den sie
immer übersehen hatten, wenn er da war. In der Symphonie der Gesichter, der
Geräusche und der Stimmungen, die den Wert des Kaffeehauses ausmachten,
fehlte das Gesicht Arnolds, seine Schweigsamkeit und sein tragischer
Schatten. Die Polizeistunde nahte heran, und Arnold kam nicht. Am nächsten
Tag ging ich ins Amt. Einer von seinen Kollegen sagte mir, Herr Zipper hätte
sich krank gemeldet und wäre schon einige Tage ausgeblieben. Ich glaube, es
war Herr Kranich, der es mir sagte. Ich glaube auch, daß er es mit jener
hämischen Kälte sagte, die vielen unglücklichen Staatsbeamten nach
fünfundzwanzigjähriger Dienstzeit eigen ist.
Auch in seiner Wohnung war Zipper nicht Daß er nicht krank war, wußte
ich sofort. Sollte er plötzlich nach Brasilien gefahren sein? So plötzliche
Entschlüsse entsprachen nicht seiner Langsamkeit. Ein Zipper beging keine
Gewaltstreiche. Wo sollte ich ihn suchen?
Ich gab mir selbst eine Frist von acht Tagen. Ich fand mich vorläufig damit
ab, daß Arnold nicht da war. Ich löschte ihn aus der Liste der Lebenden aus
und tat so, als wäre er nie dagewesen. Ich beschloß, erst nach acht Tagen
wieder an ihn zu denken.
Aber die acht Tage waren noch nicht verstrichen, als ich Zipper traf. Es war
um die Mittagszeit. Ich kam ins Kaffeehaus, um nachzusehen, ob ein Brief für
mich gekommen wäre. Da saß Zipper, in einem Winkel, fast verborgen, und
schrieb offenbar an einem Brief. Er sah mich noch nicht. Ich beobachtete, wie
er den Mund halb geöffnet hatte, wie ein Schlafender oder wie ein Kind. Sein
Kopf lag tief über dem Papier, auf dem er schrieb. Er schrieb nicht fließend.
Er schien nachzudenken oder Pausen zu machen, in denen er einem Zug
fremder Gedanken nachsah, wie man Vögeln nachsieht, die am Horizont
dahinschweben. Obwohl er seine Augen auf mich gerichtet hatte, sah er mich
nicht.
»Guten Tag, Arnold!«
Er legte den Ellenbogen auf das Papier, erinnerte sich, daß er sich durch
diese Bewegung verraten hatte, zog den Arm zurück, tat, als ob er etwas
Gleichgültiges geschrieben hätte, und rückte zurück, um mir Platz zu machen.
Ich setzte mich aber nicht.
»Wo steckst du?«
»Ich arbeite so viel.«
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Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110