Page - 69 - in Zipper und sein Vater
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							alte Zipper da. Hatte er nicht selbst einmal gefragt, ob sie sich heiraten
werden? Und siehe da, sie heirateten wirklich: sein Sohn und eine junge
Schauspielerin. Merkwürdig war es nicht. Eine religiöse Zeremonie brauchte
man nicht. Eine Feier war schließlich auch nur ein Vorurteil. Und der alte
Zipper, der immer mit der Jugend ging, sagte wiederholt, daß ihm das Geld
leid sei, das seine eigene Hochzeit gekostet hatte.
Wovon Arnold leben wollte, wußte man nicht. Zipper trieb noch Geld für
ihn auf – ob er es gespart oder geliehen hatte, blieb ungewiß. Dann fuhr
Arnold nach Breslau.
Ich verlor ihn aus den Augen, ich hörte wenig von ihm. Ich weiß nicht,
wovon er gelebt hat, er muß schwer gearbeitet haben. Er folgte seiner Frau in
den nächsten zwei Jahren in viele Provinzstädte. Endlich gelang es ihr,
Verbindung zu Filmleuten herzustellen. Zipper und seine Frau kamen nach
Berlin.
Es ging zu langsam mit dem Theater. Es mußte im Film schneller gehn.
Denn das Theater hatte viele Zentren, der Film nur ein einziges: Hollywood.
Dort hinzukommen, Geld zu haben, Ruhm und Macht!
Es war für Erna mehr ein Triumph als ein Erfolg, als sie durch einen Film,
»Der ewige Schatten« – in dem sie nur eine Nebenrolle spielte –, der Presse
so aufgefallen war, daß man sie mehr lobte als die Trägerin der Hauptrolle.
Jetzt erst begann ihre Arbeit. Denn die Stimmen der Presse waren damals
für die Maßgebenden der »Branche« keine Urteile, sondern ein Gegendienst
für Inserate. Für Erna hatten die Kritiken immerhin den Wert, daß ihr Name
den ersten schüchternen Klang bekam und die ersten Konturen einer
Physiognomie. Mit der Gewandtheit, die ihr angeboren war, begann sie, an
ihrer Karriere zu arbeiten.
Sie hatte es beim Film vorläufig mit Menschen zu tun, die ihrem Vater
glichen: kleine Bürger mit großen Redensarten. Es waren die Inflationsjahre
der Filmindustrie. Da waren sie herbeigekommen aus allen Branchen, aus
allen Randgebieten, aus allen Provinzen: die von der Manufaktur und die vom
Gastgewerbe, die aus den Drogerien und die von der Photographie, die aus
den Modesalons und die von den Rennpferden, die Buchmacher und die
Journalisten, die Reisenden von der Konfektion und die Hofphotographen, die
Offiziere außer Dienst und die Gelegenheitsverdiener, die aus Kattowitz und
die aus Budapest, die aus Galizien und aus Breslau, aus Berlin und der
Slowakei. Der Film war ein Kalifornien. Alte Börsenmakler aus Czernowitz
setzten sich mit deutschnationalen Großindustriellen zusammen und erfanden
patriotische Filme. Reisende in Lampenschirmen rasten in den Ateliers
herum, brüllten Mechaniker an und nannten sich Beleuchtungskünstler.
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						Zipper und sein Vater
							
				- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110