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Zipper und sein Vater
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Mittelmäßige Porträtzeichner wurden Architekten. Studenten, die akademische Dilettantenklubs geleitet hatten, wurden Hilfsregisseure. Gehilfen, die aus Möbellagern ausgeschieden waren, wurden Ausstattungskünstler, Photographen hießen Aufnahmeleiter, Devisenhändler Direktoren, Polizeispitzel »Kriminalfachmänner«, geschickte Dachdecker »Bautenarrangeure«, und alle, die kurzsichtig waren, Sekretäre. Mancher schlaue Wechselstubenbesitzer machte sich selbständig, mietete ein Büro in der Friedrichstraße und nannte es »Direktion«, einen Winkel am Tempelhofer Feld und nannte es »Atelier«, verfaßte selbst seine Filme und war ein Autor, befahl einer Dilettantin zu weinen und ihrem Partner zu poltern und war ein Regisseur, leimte Pappendeckel zusammen und war ein Architekt, zündete ein Magnesiumlicht an und war ein Beleuchtungskünstler. Da war er und blieb er, selbst ist der Mann. Zigarrenhändler eröffneten Kinos, ab sieben Uhr abends nach Geschäftsschluß, verkauften dreimal soviel Karten, als sie Plätze im Saal hatten. Wenig Plätze aber zählte der Saal, weil sie so viel falschen Marmor angebracht hatten, kubistische Logen und expressionistische Brüstungen. Die Intellektuellen warben nur mit seltenem Glück um die Beherrscher des Marktes und der Ateliers. Hier und dort gelang es einem, alle fingierten Konferenzen zu überstehen, während derer man ihn nicht empfing, alle Stenotypistinnen durch Liebe zu erweichen, die wie Hunde vor den Kanzleien ihrer Brotgeber saßen und bellten, alle Sekretäre zu überlisten, die ihm übelwollten, weil sie um ihr Brot zitterten, und schließlich die eigenen Hemmungen zu überwinden, um dem und jenem die Hand zu drücken und »sich umzustellen« – wie man damals sagte. Trotzdem hatten sie in der Branche nur eine Stimme, aber kein Wort, was verstanden sie vom Geschäft, vom Publikum, von Amerika? Statistinnen opferten ihre Jungfernschaft für das vage Versprechen eines Hilfsregisseurs dritter Klasse, aus ihnen eine »Diva« zu machen. Neben den weißen Himmelbetten der Backfische bürgerlicher Häuser hingen die Ansichtskartenporträts der Lieblinge, eigenhändig von ihnen unterschrieben am Tage einer Premiere. Um die Schönheiten der Welt authentisch in spannende Begebenheiten zu flechten, machten Filmkarawanen weite Reisen, zu Maharadschas, Geishas, Toreros und Fakiren. Aktiengesellschaften fielen in Trümmer, und neue waren auferstanden. Direktoren sanken zu Statisten, und Statisten stiegen zu Stars. Es war eine Welt für schlaue Menschen, es war eine Welt für Erna. Das war nicht mehr das Provinztheater mit den belesenen Sekretären, mit den empfindlichen ungebildeten Regisseuren, den bedächtigen und furchtsamen und bedürftigen Direktoren, da war nicht mehr die ewige Furcht vor dem 70
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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