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Zipper und sein Vater
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»Schließen« – sondern im Gegenteil: die ewige festliche Aufregung des Eröffnens. Beim Theater war es ein besonderes Glück, wenn der Regisseur etwas konnte und noch nicht in Berlin war, wenn er sie von Herzen liebte und noch nicht mit ihr geschlafen hatte und wenn er, nach drei Liebesstunden, immer noch überzeugt war, daß sie »Zukunft« habe. Beim Theater, das zu sterben anfing, nutzte ihr keine Klugheit. Hier gab es keine Taktik, alle Kraft war verschwendet, jede Umarmung, jedes Kokettieren mit dem Theateragenten, jedes falsche Schmeichelwort, das man dem Direktor gab, jede feine Intrige, die man gegen eine Kollegin spann, jede hervorragende Szene, die man »hinlegte«, jeder Blumenstrauß, den man sich schicken ließ. Beim Film dagegen war alles neu, es roch nach Lack, es gab noch keine Tradition im »Ausstechen«, »Hereinlegen«, »Zerspringenlassen«, »Dingedrehn«, »Chosendeichseln« – alle Traditionen waren der Theaterwelt entlehnt und noch nicht genügend der Branche angepaßt. Zwar galt hier ein Wort noch weniger, eine Verabredung war ein Witz, eine Unterschrift ein »Wennschon«, ein Versprechen ein »Hereinfall« und ein Vertrag ein »Dreh«. Aber der Argwohn weckte Respekt, Schlauheit Achtung, Beziehungen erregten Furcht, und in einem ewigen Wechsel sich zu halten war leichter als in einem ständigen langsamen und sichern Sterben. Wenn man das Leben so genau und bitter sah wie Erna, konnte man beim Film leichter eine »Position« erringen als beim Theater. Der kleinbürgerlichen Primitivität der Branche-Männer galt es zu imponieren: Durch Schönheit? – Sie hatten einen merkwürdigen Geschmack. Durch gespielten Adel der Seele? – Sie wußten nicht, was es ist. Durch einen vornehmen Ton? – Sie überhörten ihn im Lärm, den sie selbst erzeugten. Durch kuriose Allüren? – Sie ahmten sie nach. Durch ein Verhältnis mit einer »Kapazität«? – Das gab es schon. Durch Ausschweifung? – Das war zu leicht verständlich. Durch Talent? – Das hatte jede. Es gab einen Ausweg: alle Mittel zu mischen, zu komponieren und sie je nach Bedarf anzuwenden – und – was niemals schaden konnte – ein wenig »pervers« zu werden. Es hielt die unerträglichen langweiligen Männer fern und gab immer einen Gesprächsstoff. Schließlich führte es so weit vom elterlichen Haus weg, von der Mutter, vom Vater, vom eigenen Blut, daß man fast sicher war, nie mehr in die eigene Vergangenheit zurückzufallen. So bekam Erna eine Freundin, zwei, drei Freundinnen. Frühere Heiratsvermittler, die zu der Branche gekommen waren, ehe sie selbst wußten, warum, schüttelten den Kopf und erwogen in Gedanken, wie eine so hübsche Frau zur Normalität bekehrt werden könnte. Im Grunde überlegten es alle Männer, sogar die Intellektuellen, die ja mit der Erscheinung vertraut waren. Ihnen gefiel Erna ausgezeichnet. Ihnen gefiel 71
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Ă–sterreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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