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Zipper und sein Vater
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sich verliebten – ohne an die Liebe zu glauben – und sich trennten, ohne an die Trennung zu glauben. Ach! weshalb waren sie nicht wie ihre Väter Zigarrenhändler, Börsenmakler, brave Uhrmacher und Bankbeamte? Weshalb spielten sie so ein lustiges Künstlervölkchen und trieben Opposition gegen ihre Nachbarn, die Bankdirektoren, die Fabrikanten und die Grundbesitzer? Waren sie alle zur Schauspielerei gekommen wie Fräulein Erna Wilder? Einmal in der Woche, nämlich am Sonntagnachmittag, durfte Arnold seine Frau besuchen. »Den Sonntag kann ich nicht ausstehen!« sagte Erna. »Volk ist eine ganz gute Sache, aber ein Volk am Sonntag geht mir auf die Nerven! Es ist doch gut, daß die meisten Menschen arbeiten.« Infolgedessen ging sie am Sonntag nicht aus. »Zu Hause bin ich nur am Sonntag!« kündigte sie einigen Leuten an, die sie außerhalb des offiziellen Mittwochs sehen wollten. Und Arnold ging zu ihr jeden Sonntagnachmittag. Es war das einzige Mal in der Woche, daß er ein Auto nahm; denn er brachte seiner Frau Blumen, und er war zu schüchtern, um jemanden sehen zu lassen, daß er Blumen trage. Er zog einen eleganten Anzug an – er hatte jetzt einige. Denn in der mondänen Welt, in der er jetzt lebte, mußte man besser angezogen sein, als man aß. Sogar ein Monokel trug Arnold in der Westentasche. Legte er es an, so lag es in seinem traurigen Gesicht wie ein vereister See in einer herbstlichen Landschaft. Aber er mußte es anziehen, bei Schönheitskonkurrenzen und auch, weil er kurzsichtig war. Seine Kleider kamen aus einem jener teuren und kleinen Schneiderateliers, die der großen Welt noch nicht bekannt sind, die noch vor einem Jahr für Briefträger arbeiteten, plötzlich von einem Schauspieler einen Auftrag bekamen und nichts mehr zu sorgen hatten. Irgend jemand sagte im Nachtlokal der Künstler: »Ich bin dem Tschipek tausend Mark schuldig.« »Wer ist Tschipek?« fragt ein Neugieriger. »Sie wissen nicht, wer Tschipek ist?« Und der andere begann nachzudenken, ob es nicht möglich wäre zu sagen, man kenne ihn, ehe man laut zugeben mußte, man kenne ihn nicht. »Tschipek ist der beste Schneider von Europa!« sagte der Schuldner (und wenn er witzig war, so sagte er: »von Europa und Umgebung!«). Dann rückte man mit den Stühlen und betrachtete den Anzug. Es gab da verschiedene verborgene, raffinierte Feinheiten, die nur Kenner zu schätzen wußten und die man auf den ersten Blick gar nicht eruieren konnte. So wurde man von den Wissenden ausdrücklich belehrt, daß die Knopflöcher jungfräulich geschlossen waren, obwohl sie so aussahen, als 80
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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