Page - 81 - in Zipper und sein Vater
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könnte man eine Blume in sie stecken. Die Taschen waren innen grau und
nicht weiß. Die Hose hielt ohne Gürtel und Hosenträger, und die Weste hatte
keine Schnalle. Die inneren Rocktaschen hatten Klappen, und das Unterfutter
des Rocks ließ am unteren Rand eine hohle Stelle fühlen, eine Falte, damit der
Stoff nicht »gezogen werde«, wie man fachmännisch sagte.
Bei Tschipek, der seit einigen Jahren von Mund zu Mund empfohlen
wurde, ließ auch Zipper »arbeiten«, wie er sagte. »Alle nähen jetzt bei
Tschipek«, erzählte er. Er zeigte mir manche verborgenen Feinheiten, die
anderen Kunden fremd waren und wohl ewig unbekannt bleiben würden. So
erinnere ich mich an eine Weste, die so zauberhaft geschnitten war, daß man
sie »tief« und »hoch«, das heißt: mit einem kleinen und einem weiten
Ausschnitt tragen konnte, je nach der Farbe des Gewandes, das man gerade
angelegt hatte.
Wie weit lag die Zeit zurück, in der Arnold einen groben Anzug aus
gefärbtem Militärtuch getragen hatte! Er hatte Geschmack an vielen kostbaren
Spielereien gefunden, mein Freund Arnold Zipper. Seine Krawatten waren
mustergültig, selbst Leute, die ihm übelwollten, mußten es zugeben. Seine
Schuhe waren nach Maß gearbeitet und handgenäht, und vor Warenhäusern
hatte Zipper einen Abscheu wie ich vor Abdeckereien.
Manche zerbrachen sich den Kopf über sein Verhältnis zu seiner Frau.
»Was macht sie mit diesem Mann?« fragten die Boshaften.
»Was macht er mit dieser Frau?« fragten die Gutmütigen.
»Warum ließen sie sich nicht scheiden wie alle Welt?« fragten die
Neutralen.
Erna aber hielt es für eine besondere Note, auf eine so merkwürdige Weise
verheiratet zu sein. Fragte man sie, so gab sie Aufklärung:
»Wir sind katholisch verheiratet, der gute Arnold und ich. Wir können nicht
voneinander los.«
Und ich war doch ihr Zeuge beim Standesamt gewesen. Erna sagte es aber
auch, wenn ich da war.
Daß sie ihn den »guten« Arnold nannte, schien mir beinahe ihrer selbst
unwürdig. Warum? Sie hatte es doch nicht nötig, ein so abgenutztes
Eigenschaftswort anzuwenden. Sie hätte sich doch schon etwas Mühe geben
können, eine originellere Bezeichnung zu finden. Arnold aber lächelte, wenn
sie ihn »guter« nannte. Sprach sie direkt zu ihm, so sagte sie sogar: »Bester«.
Er lächelte wie einer, der es besser weiß und der, mögen die anderen auch
glauben, er sei nur ein Guter, auch Stunden kennt, in denen ihm andere
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Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110