Page - 106 - in Zipper und sein Vater
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haben Sie schon ihren letzten Film gesehen. Eine ausgezeichnete Rolle. Das
ist endlich die gute Schauspielerin ohne eine Spur von Talent. An dem Tag, an
dem die Frau aus Monte Carlo abreist, fängt Arnold an zu verlieren. Er muß
leben. Aber was hat er gelernt? Sein Vater hat ihn zu einem Genie erzogen,
wie mein Vater mich – aber mir hat es nicht geschadet, weil ich ohnehin
lebensunfähig bin. Arnold hat seinem Vater nur ein einziges Handwerk zu
verdanken: er spielt, wie Sie noch wissen, Geige und Klavier. Was macht man
in diesem Fall? Sie erinnern sich vielleicht noch, wie Arnold spielte? Kein
gottbegnadeter Künstler selbstverständlich! Aber ›es geht zum Herzen‹, hätte
der alte Zipper gesagt. Vielleicht hätte er doch ein Musiker werden sollen.
Erinnern Sie sich, was fĂĽr ein herrlicher Kiebitz das war? Wie er immer an
unserem Tisch gesessen ist und geschwiegen hat? Na, Nebensache, kommen
wir zu Ihrem Roman.
Arnold ging also in ein Musikcafé, man brauchte keinen Klavierspieler,
aber einen ersten Geiger. Einmal am Abend, SolostĂĽck, mit
Klavierbegleitung. Ave Maria oder so was. Sie kennen diese Pausen der
Andacht, wenn die Leute von Welt verlegen werden und die kleinen BĂĽrger
andächtig. Haben Sie schon bemerkt, wie die Leute ihren Kaffee schlürfen,
beim Solo? Dann klatschen einige und verlangen zum Ă„rger der Menschen
von Welt noch ein StĂĽck. Der Sologeiger verneigt sich. Er spielt nicht mehr.
Er wird nicht fĂĽr zwei Solos bezahlt. Aber der Kapellmeister gibt ihm einen
Wink. Da steht er auf und fängt wieder an. Und nach dem zweiten klatscht
man nicht mehr. Das ist selbst dem kleinen BĂĽrger zuviel. Also setzt sich der
Solist hin, ein wenig verprĂĽgelt.
So ein Solist war also Zipper.
Es wird aber noch romanhafter. – Kommen Sie, wir müssen einen Kaffee
trinken, ich kann nicht mehr so viel sprechen. Der alte Johann, der Markör, ist
zum ersten Male seit vierzig Jahren in Urlaub gefahren. Ich habe also keinen
Kredit. Sie laden mich aber ein.«
Im Kaffeehaus erzählte P. weiter:
»Eines Abends kommt der berühmte Clown Lock nach Nizza ins Café,
gerade zum Solo. In der Pause geht er zu Arnold hin und engagiert ihn als
Partner. Nun ist Arnold ein echter Musikant. Ich wuĂźte nie, wo ich sein
Gesicht hintun sollte. Jetzt weiß ich es: es gehört unbedingt in ein Varieté.«
P. zog eine Brieftasche und entnahm ihr eine Photographie. Es war Arnold.
Er trug Pumphosen und ein schmales Jackett und einen hellen steifen Hut mit
breiter Schärpe.
»Ein echter Habig!« rief ich aus.
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Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Ă–sterreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110