Seite - 56 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Albert Lichtblau
Erst die Radikalisierung Ende der 1920er-Jahre veränderte das politische Spektrum
schnell. Bei den letzten Wiener Kommunalwahlen vor dem Parteiverbot erzielte die
nsDaP 1932 mit 17,4 Prozent einen beängstigenden Aufschwung. Im Vergleich dazu :
Bei der Nationalratswahl im November 1930 hatte sie nur 2,3 Prozent der Stimmen.
Der Aufstieg der nsDaP in Wien erfolgte vor allem auf Kosten der Christlichsozia-
len, die 1932 mit 20,2 Prozent das schlechteste Wahlergebnis erzielten, während die
Sozialdemokratie ihren Stimmenanteil weitgehend halten konnte. Den Christlich-
sozialen gelang somit nicht jene Umarmungspolitik im rechten politischen Spektrum
wie der Sozialdemokratie im linken. Im Vergleich dazu war das politische Spektrum
in der deutschen Hauptstadt Berlin in diesem Jahr schon völlig anders gelagert. Dort
gaben bei der Reichsratswahl am 6. November 1932 für die nsDaP 25,9 Prozent ihre
Stimme ab – vier Monate später werden es sogar 43,9 Prozent sein –, für die sPD 20,4
Prozent, die kPD 16,8 Prozent und das Zentrum 11,9 Prozent.
Pogrombereitschaft
Es kann kein Zufall sein, dass in Österreich nach dem „Anschluss“ so viele Wiener
und Wienerinnen die ns-Machtübernahme als Zeichen verstanden, die „Lösung der
Judenfrage“ nun selbst in die Hand nehmen zu können, und nur wenige dem etwas
entgegenhielten. Die Frage wird im Raum stehen bleiben, wie es geschehen konnte,
dass die Wiener Bevölkerung, die zuvor nicht mehrheitlich antisemitisch, sondern
sozialdemokratisch wählte, beim „Anschluss“ derart umfallen konnte und zu einem
Pogrom-begeisterten Mob bzw. zu einer ihn nicht behindernden Masse wurde ? Bei
dieser Frage geht es konkret um Schuld, insofern wird sie heikel zu beantworten sein
und vermutlich kaum eindeutig, solange die Nachfolgeparteien dieser Zeit in Öster-
reich nach wie vor dominieren und sich von Bewertungen auf den Schlips getreten
fühlen.
Die moralische Hauptverantwortung tragen eindeutig die antisemitischen Grup-
pierungen und Institutionen. Die den Antisemitismus in der Wiener Kommunalpoli-
tik implementierende Christlichsoziale Partei behielt die Judenfeindschaft bis zum
„Anschluss“ als einen programmatisch ideologischen Kern. Sie koppelte in einem
sich schleifenartig wiederholenden Dauerdiskurs gesellschafts- und sozialpolitische
Probleme weiterhin an die „Lösung der Judenfrage“. Wie ausschlaggebend der Anti-
semitismus im Gesamtkomplex ideologischer Perspektiven und für die Wählerschaft
tatsächlich war, lässt sich allerdings nicht quantifizieren. Gegenüber der Anfangs-
Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichte Berlins, Bd. 2, München 1987, S. 934.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519