Seite - 191 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit 1 1
„as doss ganze jidische lebn, sajn kultur fun hunderter jorn is gor nischt wert !“ („Dass
nämlich das gesamte jüdische/jiddische Leben, seine Kultur von hunderten Jahren
nichts wert sei !“) (Das ist übrigens ein Aspekt, der in den jiddischistischen Debatten
des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts – besonders in der Auseinandersetzung mit
dem Zionismus – eine Rolle spielt.) Für Silburg bildet das die Grundlage für die „pa-
rodje“. Da für die Goleß-Verneiner das Jiddische als der Ausdruck der diasporischen
Existenz gilt, geht mit der „goleß-farnejnung“ die Ablehnung und Verachtung des
Jiddischen einher.
Cynthia Ozick geht in ihrer Einschätzung der Diaspora noch weiter, indem sie sie
gerade in ihren negativen Aspekten grundlegend für die Aufrechterhaltung der jüdi-
schen Identität erachtet, ein, meinem Empfinden nach, bedenklicher Gedanke. Als
Ausdruck dieser Identität schlägt sie, da sie ihre jüdische Umgebung schon weit ent-
fernt vom Jiddischen sieht, vor, aus dem Englischen ein „New Yiddish“ zu schaffen,
das sie sich als eine Sprache vorstellt, die „centrally Jewish in its concerns and thereby
liturgical in nature“ 9 sein solle : „At the end of her essay, Ozick attempts to come up
with an alternative to assimilation for the Jewish community. She mentions the idea
of creating a ,New Yiddish‘ […] She believes that by creating this language the Jewish
people will, for the first time, be transforming a Diaspora language into their ,own
necessary instrument, understanding ourselves in it while being understood by every-
one who cares to listen or read‘ […] For the Jews, this beautiful concept will hold the
balance of being ,a holy people‘ unto themselves, yet letting that ,holiness shine for
others in a Jewish language‘.“ 0
Wie man sich tatsächlich eine solche Sprache vorzustellen habe, bleibt weitge-
hend unklar. Vielleicht kann man sich als New-Yiddish-SchriftstellerIn etwa Cynthia
Ozick selbst denken, deren Werk zumindest inhaltlich von der „deep-rooted history“
und „liturgy“ sowie von „religious consciousness“ durchdrungen ist.
Silburg würde, wie jeder andere Jiddischist auch, eine Idee wie die der Schaffung
eines „New Yiddish“ zurückweisen, das ja letztlich nur zu einer amerikanisch-jüdi-
schen Symbiose, einer hybriden Identität führen soll, wohingegen ihm als einziges
Sie erklärt sich mit Joseph Brenner einverstanden, der meinte : „,But what has history to tell ? It can tell
that wherever the majority population, by some fluke, did not hate the Jews among them, the Jews im-
mediately started aping them in everything‘“ ; Ozick, „Towards a New Yiddish”, in : dies., S. 151–177,
S. 171.
Ebd., S. 174.
0 Nomi Sturm, „Jewish Culture or Jewish Kitsch“, in : Notebook, Issue 2, Toronto 2006, S. 28–37, S. 35.
(Die Zitate im Text sind aus : Ozick, “Towards a New Yiddish”, in : dies., S. 151–177, S. 177.) Von der
„New Yiddish“-Idee habe sich Ozick inzwischen distanziert, „but the reasoning behind it and the pre-
sentation of her case (which was first made in 1970) is still of interest.” Nomi Sturm, ebda.
Ebd., S. 175.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519