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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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0 Karin Stögner hinsichtlich ihrer eigenen Religion und Kultur auf die Figur der „schönen Jüdin“ übertragen wurde, die an ihrer statt das Dilemma der eigenen inneren Zerrissenheit und Uneinheitlichkeit lösen sollte. Diese Unsicherheiten verstärkten sich im Zuge der Säkularisierungsprozesse, wel- che sich auch im Wandel der Bilder des Juden und der Jüdin niederschlugen. Ab der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurde die „Jüdin“ zwar nach wie vor als schön imaginiert, sie galt aber gleichzeitig als zunehmend böse und bedrohlich und durch die Taufe nicht mehr „domestizierbar“. Sie repräsentierte die verbotene Verlockung und war als „nicht greifbare, irrlichternde, verheißende Gegenfigur zu dem in bürgerlicher Beschränktheit verhafteten Mann“ gezeichnet. Als reine Projektionsfigur männlicher Macht- und Gewaltfantasien war sie eine Mischung aus Reiz und Abscheu, was we- sentlich als misogyne Antwort auf weibliches Emanzipationsbegehren zur selben Zeit zu interpretieren ist. Die allgemein zunehmende Misogynie als Reaktion auf die als Bedrohung empfundene erotische und intellektuelle Macht von Frauen schaffte ein gespaltenes Frauenbild : einerseits das der intellektuellen Frau als steriles Mannweib, andererseits das der sinnlichen Frau, die zur Hure stilisiert und abgewertet wurde und für den Mann insbesondere die Gefahr der „Lustseuche“ barg. Gemeinsam war diesen Figuren die Weigerung, ihre prokreativen weiblichen Fähigkeiten der männ- lich dominierten Gesellschaft nutzbar zu machen, was einer Absage an die bürgerliche Selbsterhaltung gleichkam. Ab dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert wurden die aus der Verschlingung von Sinnlichkeit und Intellekt erwachsenden Gefahren des Weiblichen ins Bild der „belle juive“ gebannt, dessen mehrdeutige erotische Ausstrah- lung einer Kombination aus Anziehung und Vernichtungswunsch geschuldet war. Ein wesentliches Merkmal des Antisemitismus ist, dass Juden und Jüdinnen als Personifizierung der Ambivalenz erscheinen, wodurch aber ihre Zuordnung zu ma- nichäischen Konstrukten von gut und böse gerade unterlaufen wird. Durch die feh- lende Stringenz sind sie weder eindeutig Feind noch eindeutig Freund, denn diese beiden Pole gehören, trotz ihrer Opposition, dem Selben zu. Moderne Vergesellschaf- tungsformen setzen Einheit gegen die Vielheit, Eindeutigkeit gegen den Zweifel. Das Spannungsverhältnis zwischen oktroyierter Eindeutigkeit und Einheit und realer Mehrdeutigkeit und Vielheit erzwingt die Ambivalenz in den vergesellschafteten In- dividuen. Dies bewirkt die Entstehung einer absoluten Gegenposition, welche durch die Konstruktion des Anderen schlechthin besetzt wird. Die Bekämpfung der Am- Ebd., S. 250. Bei Charles Baudelaire und im Anschluss daran bei Walter Benjamin erfuhr dieses Moment in den Figuren der „Hure“ und der „Lesbierin“ eine vielschichtige und hintergründige Fassung ; vgl. Walter Benjamin, „Über einige Motive bei Baudelaire“, in : ders., Gesammelte Schriften I–2, Frankfurt am Main 1992, S. 605–655.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Untertitel
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Autor
Frank Stern
Herausgeber
Barabara Eichinger
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2009
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
558
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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